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Nur durch eine gesunde Unternehmenskultur können gesunde Mitarbeitende für einen gesunden Betriebserfolg sorgen. Diese dreifache Gesundheit muss gefördert und gemanagt werden.

Das Gastgewerbe ist eine Branche mit vielen verschiedenen Belastungen für die körperliche und psychische Gesundheit der Mitarbeitenden. Das bestätigt auch die Gesundheitsbefragung des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) aus dem Jahr 2012. «Deshalb schätzen wir die Notwendigkeit für Gesundheitsförderung in dieser Branche sehr hoch ein», sagt Dr. Sven Goebel, Leiter Entwicklung Betriebliches Gesundheitsmanagement der Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz. «Einige der Belastungen – zum Beispiel Schichtarbeit, Arbeitsintensität, stehende Tätigkeit, Zwangshaltungen, intensiver Kundenkontakt oder der Einfluss auf den Zeitpunkt der Pausen sind Teil des Berufes und können somit nicht einfach eliminiert werden. Allenfalls können organisatorische Veränderungen oder auch eine Ressourcenstärkung der Mitarbeitenden diese Belastungssituation entschärfen. Andere Belastungen, die nicht im Rahmen der beruflichen Tätigkeit im engeren Sinne entstehen, lassen sich durch geeignete Massnahmen reduzieren.»

Die Belastungen

In verschiedenen Studien und Befragungen konnten einige Risikofaktoren und Belastungen für die Gesundheit der Mitarbeitenden im Gastgewerbe identifiziert werden:

  • Die psychischen Belastungen durch Merkmale der Arbeitstätigkeit und -organisation sind im Gastgewerbe im Vergleich zu anderen Branchen gross bis sehr gross: Schichtarbeit, unregelmässige Arbeitszeiten, Arbeitsintensität (Zeitdruck, Arbeitstempo), Gefühle verbergen (Emotionsarbeit), Spannungen im Umgang mit Kunden, Aufgaben, die den persönlichen Werten widersprechen, sehr wenig Mitbestimmung und widersprüchliche Angaben sowie Benachteiligungen aufgrund der Nationalität oder Hautfarbe.
  • Im Vergleich mit anderen Branchen zeigen sich für Erwerbstätige im Gastgewerbes tiefe Werte in Bezug auf drei gesundheitsschonende Faktoren (Ressourcen): Die Möglichkeit, Pausen zu machen, wann sie möchten (Erholung), regelmässig etwas Neues zu lernen und die Möglichkeit, ihre eigenen Fähigkeiten voll einzusetzen.
  • Erwerbstätige im Gastgewerbe sagen vergleichsweise häufig, dass sie emotional verbraucht sind. Sie berichten auch über ein hohes Niveau an Stressempfinden.
  • Arbeitszufriedenheit steht in direktem Zusammenhang zu physischer und psychischer Gesundheit. Besonders gross sind die Zusammenhänge von Unzufriedenheit zu psychischen Beschwerden wie Burnout, verringertem Selbstwertgefühl, Depression und Angstzuständen. Betrachtet man die Arbeitszufriedenheit und die Arbeitsresignation im Gastgewerbe, verzeichnet man die schlechtesten Werte im Branchenvergleich.
  • Das Gastgewerbe kämpft mit einer hohen Fluktuation und gilt nicht als sehr attraktiv, das führt zu Nachwuchsmangel. Dafür verantwortlich sind verschiedene Faktoren. Gesunde Arbeitsbedingungen haben sicherlich auch einen Einfluss darauf.

«Jede Branche hat andere Risiken, aber das zum Teil fehlende Gesundheitsverhalten und die individuelle Einstellung zum Thema Gesundheit von einzelnen Mitarbeitenden in unserer Branche stellen eine zusätzliche Herausforderung dar», sagt Monika Zbinden, HR Coordinator Gesundheitsmanagement bei SV Schweiz. Sie nennt auch explizit das Heben und Tragen von Lasten als grosse Belastung und Herausforderung für die Gesundheit der Mitarbeitenden, genauso die Stosszeiten mit viel Hektik, die viele kognitive Fähigkeiten erfordern: Koordination von Abläufen, Multitasking und die allzeit bereite Freundlichkeit. «Während diesen hektischen Zeiten ist eine jederzeit wertschätzende und auf individuelle Bedürfnisse und Empfindsamkeit eingehende Mitarbeiterführung eine grosse Herausforderung», sagt sie. «Ausserdem sind die Arbeitsprozesse immer enger getaktet. Aufgrund des Marktdruckes hat das immer mehr zugenommen und ist direkt spürbar. Vor allem ältere und langjährige Mitarbeitende tun sich vermehrt schwer mit den heutigen Arbeitsbedingungen. Die Digitalisierung und die hohe Flut an Informationen, die im privaten und beruflichen Leben auf den Menschen einströmt, stellt ein zusätzliches psychosoziales Risiko dar.»

Andreas Martens, Geschäftsführer der AEH Zentrum für Arbeitsmedizin, Ergonomie und Hygiene AG, erwähnt zudem die Hitze in der Küche, Konflikte in Bezug auf die Einhaltung des Jugendarbeitsschutzes, der signifikant höhere Sexismus und vermehrte sexuelle Belästigungen verglichen mit anderen Branchen sowie der höhere Alkoholkonsum. Er betont aber auch: «Nicht alle Gastrobetriebe und -bereiche kennen die gleichen Herausforderungen, in der Küche in einem Spital sind sie andere als in einem Restaurant, im Service sind sie andere als in der Küche. Und nicht alle Mitarbeitenden empfinden die Belastungen genau gleich. Wenn man in dieses Gewerbe geht, weiss man, was das bedeutet. Das stellt eine gewisse Selektion dar. Aber: Das Arbeiten gegen die Normalzeit ist immer eine zusätzliche Belastung. Die Normalzeit wird auch vom Tageslicht synchronisiert und man weiss aus Untersuchungen zur Schichtarbeit, dass eine Hauptbelastung am Abend physiologisch und psychologisch schwierig ist. Diese Arbeitszeiten machen es zudem schwieriger, die Freizeit mit Freunden, der Familie oder in Vereinen zu gestalten.»

Was tun?

Nun sei aber genug gejammert. Denn die Gesundheit ist nicht einfach verloren, wenn man im Gastgewerbe tätig ist. Im Gegenteil. «Genauso wie Freundlichkeit in hektischen Zeiten oder an schwierigen Tagen belastend sein kann, so ist ein positiver Kundenkontakt auch eine Ressource», sagt Monika Zbinden. Und man kann viel in die richtige Richtung lenken. Bei SV Schweiz setzt man beispielsweise auf obligatorische Führungsschulungen für Vorgesetzte, zum Beispiel zum Umgang mit Mitarbeitenden, zur Gesprächsführung, zu Rekrutierungs- oder Qualifikationsgesprächen, zum Zusammenhang von Arbeit und Gesundheit, zu Gesundheitsgesprächen, zur Führungsverantwortung für eine gesunde Betriebskultur, zum Umgang mit Absenzen und zur Wiedereingliederung von Langzeit-erkrankten Mitarbeitenden. Ausserdem gibt es Kurse zu Selbst- und Stressmanagement und in den Betrieben werden drei Mal wöchentlich zehnminütige Kurzschulungen und Sensibilisierungen zu betriebs- und qualitätsrelevanten Themen durchgeführt, unter anderem zur Unfallverhütung, zum Gesundheitsverhalten, zur Kommunikation und zum Umgang miteinander. «Wir betreiben auch ein Potentialmanagement für Restaurant Manager und Küchenchefs und systematisierten den Prozess Gesundheitsmanagement mit Gesundheitsgesprächen bei häufigen und auffälligen Absenzen, bei Frühanzeichen oder auf expliziten Wunsch von Mitarbeitenden», sagt Zbinden. «Wir sensibilisieren die Führungskräfte für psychosoziale Risiken, publizieren drei Mal jährlich Artikel über gesundheitsrelevante Themen in der Mitarbeiterzeitung SV Journal, sensibilisieren und informieren über das Gesundheitsmanagement auf unserem Intranet und können unseren Mitarbeitenden eine anonyme und kostenlose externe Sozialberatung anbieten.»

Klingt nach viel Arbeit…

Das ist ein grosses Engagement, für das wohl nicht jeder Betrieb die Möglichkeiten hat. «Ein grösseres Unternehmen kann leichter ein systematisches Gesundheitsmanagement betreiben als ein kleiner Betrieb», sagt Andreas Martens. Doch wer die Mitarbeitenden gut auswähle, gut mit ihnen umgehe, Kurse und Schulungen zur Thematik belege und keine eigene Belastungen an die Mitarbeitenden weitergäbe, wer gutes Hilfsmaterial und gute Ausrüstungen beschaffe, tue bereits viel für die Gesundheit der Mitarbeitenden. Am wichtigsten sei jedoch eine gute Unternehmenskultur: «Wenn Spannungen und Belastungen erkannt, thematisiert und reflektiert werden können, wenn man sagen darf, dass man müde ist anstatt Angst zu haben, der Chef merke, dass man müde ist, hilft das auf jeden Fall», sag Martens. «Es gibt immer Belastungen, aber es gibt auch immer Ressourcen. In einem guten Team, wo man sich aufgehoben fühlt, kann man Belastungen und Ressourcen gegenseitig kompensieren. Ein solches Klima müssen die Führungskräfte vorleben und beeinflussen.»

Auch Monika Zbinden erachtet eine gesunde Unternehmenskultur als sehr wichtig – dass Vorgesetzte und Mitarbeitende offen über gesundheitliche und psychosoziale Belastungen sprechen können. «Es steht und fällt mit der Führung», sagt sie. «Deshalb schulen wir vor allem unsere Führungskräfte, wie sie unsere Mitarbeitenden gesund führen können. Sicher kann man Gesundheit fördern, indem man Sport-Abonnemente oder Gesundheitstage organisiert. Das machen wir aber nicht. Wir wollen die Verhältnisse am Arbeitsplatz positiv beeinflussen, nicht das Verhalten der Mitarbeitenden. Das ist viel schwieriger und braucht immer die Einsicht von jedem Einzelnen, dass er oder sie das auch will.»

Hilfe holen

Hilfestellungen gibt es beispielsweise von externen Beratern oder auch von Branchenlösungen, beispielsweise vom Arbeitgeberverband GastroSuisse, der in seiner Branchenlösung zu Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz auch die Themen Betriebliches Gesundheitsmanagement und Betriebliche Gesundheitsförderung behandelt.

Mit dem Label Friendly Work Space und dem Befragungsinstrument Friendly Work Space Job-Stress-Analysis (JSA) bietet Gesundheitsförderung Schweiz zwei Angebote, um die Gesundheit der Mitarbeitenden langfristig und nachhaltig zu verbessern. SV Schweiz hat das Label Friendly Work Space im Dezember 2016 erhalten. «Wir haben dafür unser Betriebliches Gesundheitsmanagement von Grund auf überprüft, neu aufgestellt, Prozesse systematisiert und ein sorgfältiges Controlling eingeführt», sagt Monika Zbinden. «Dies unterstützt uns nun dabei, strukturierter und nachhaltiger zu handeln». Mit Erfolg: Kurzzeit- und Langzeiterkrankungen sinken stetig, genauso wie die Berufsunfälle.

Veröffentlicht in der Fachzeitschrift “gastrofacts businessmagazin” (März 2018).