Bild: zVg –

Remo Wehrli ist Director People & Culture bei ISS Schweiz. Im Interview erzählt er, worauf es ihm in der Rekrutierung von Fachkräften ankommt und welche Wege das Unternehmen dabei geht.

Alles spricht vom Fachkräftemangel. Und alle spüren ihn. Es gibt aber solche, die sich nicht nur darüber beklagen, sondern auch sehr aktiv werden. Remo Wehrli, Director People & Culture bei ISS Schweiz, blickt dabei auf einige Erfahrungen zurück.

Finden Sie genug Fachkräfte?

Ja, wenn wir Geduld haben. Die Frage ist eben nicht nur, ob wir die Fachkräfte innert nützlicher Frist finden, sondern ob sie auch von der Persönlichkeit zu uns passen. Die Schwierigkeit besteht also darin, dass wir jemanden finden, der sowohl von den Skills, als auch von seiner Attitude und den charakterlichen Eigenschaften her zu uns passt. Manchmal müssen wir dann halt sagen: der Kandidat bringt zwar fachlich alles mit, aber er eignet sich von der Wesensart her nicht.

Das heisst, die Fachkraft muss auch zur Unternehmenskultur passen?

Wir verfolgen das Prinzip ‘hiring the human touch’. Gewisse Fähigkeiten kann man sich aneignen, die Attitude eher weniger. Deshalb versuchen wir bereits während der Rekrutierung spezifische Eigenschaften abzuklären und senden zusammen mit der Einladung zum Vorstellungsgespräch einen Film über Alltagsituationen unserer Mitarbeitenden. Im Dialog sprechen wir dann darüber, wie die Kandidaten den Film erlebt haben und wie sie die dort gezeigten Situationen selber handhaben würden. Ist sich jemand beispielsweise nicht gewohnt, anderen die Tür aufzuhalten, können wir das nur schwer lehren. Und da nützt auch jedes Diplom nichts. Gibt es aber bloss eine kleine Lücke bei den Fähigkeiten, können wir diese füllen. Selbstverständlich stellen wir niemanden ein, der oder die zwar unsere Kultur teilt, jedoch im Fachgebiet keinerlei Expertise aufweist. Aber diese Kandidaten erkennen wir bereits in der Vorselektion.

Wie suchen und rekrutieren Sie denn die richtigen Fachkräfte?

Matchentscheidend ist es, dass wir «die Bestellung korrekt aufnehmen». Wenn eine Abteilung einen Projektleiter oder eine Projektleiterin sucht, tauschen wir uns intensiv darüber aus. Wer ist dieser Projektleiter? Woher kommt sie? Was hat er bisher gemacht? Wie muss sie sein, damit sie ins Team passt? Was macht er den ganzen Tag? Wenn jemand Französisch sprechen soll, auf welchem Niveau? Als wir einen Leiter Customer Service Desk suchten, sass ich auch schon selber eine Stunde lang in die Abteilung, um zu spüren und zu erfassen, wie es dort ist und welche Charaktere der Besteller braucht. Ebenfalls müssen wir wissen, wo wir die passenden Fachkräfte finden. Da erwarten wir auch von der Linie, dass sie uns helfen. Wird beispielsweise ein Bauprojektleiter gesucht, muss sein künftiger Chef wissen, auf welchen Plattformen oder in welchen Foren sich die potenziellen Kandidaten bewegen. Als HR-Verantwortlicher habe ich nie den gleichen Zugang zu diesen Personen wie ein Bauprojektleiter.

Über welche Kanäle suchen Sie letztlich Bewerber?

In diesem Zusammenhang sind wir noch ein wenig ‘Old Fashioned’ unterwegs und schalten Inserate: über unsere eigene Website, über Plattformen wie jobs.ch, über weitere aktuelle Portale, die wir laufend ausprobieren, oder über Fachportale, wenn es sie gibt. Hinzu kommen Kanäle wie LinkedIn oder Xing. In Ausnahmefällen arbeiten wir auch mit Print-Inseraten, dann allerdings vorwiegend in Fachzeitschriften. Zeitgleich versuchen wir auch immer wieder neue Wege zu gehen. Seit Februar 2019 sind wir zum Beispiel mit einem Pilotprojekt am Start, das sich «Be a scout» nennt. Auf ganz einfache Art und spielerische Weise machen wir dabei unsere Mitarbeitenden zu Scouts. Hintergrund ist hier natürlich die Aktivierung der einzelnen Netzwerke unserer Mitarbeitenden; und die Glaubwürdigkeit ist grösser, wenn Kandidaten sehen, dass ihr Kontakt auch bei uns arbeitet. Das funktioniert so: Ein Mitarbeitender registriert sich als Scout. Jede offene Position wird als Link zur Verfügung gestellt. Der Mitarbeitende kann das Stelleninserat auf seinen Social Media-Profilen posten und mit Kommentaren versehen. Er erhält jeweils Punkte, wenn seine Kontakte das Inserat anschauen, es «sharen», sich darauf bewerben und zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden. Wird ein Kontakt letztlich angestellt, erhält der Mitarbeitende einen Ferientag plus eine ausgeschriebene Prämie. Nach drei Wochen mit diesem Pilotprojekt verzeichnen wir bereits 50 Scouts und haben dadurch über 500 Inserate-Sichtungen registriert.

Wie sehen die Inserate aus, die Sie schalten?

In den letzten zwei Jahren haben wir Form und Inhalt unserer Inserate ziemlich weiterentwickelt. Man findet heute noch immer zahlreiche Annoncen, die schlicht nicht ‘responsive’ oder ‘mobile friendly’ sind. In unseren Inseraten musst du nicht mehr scrollen, es gibt erweiterbare Bereiche. Auf einer Landkarte siehst du, an welchem Standort es wie viele Stellen gibt. Klickst du auf ein Inserat, öffnet sich automatisch Google Maps und du weisst beispielsweise, wie lange du zum Arbeitsort brauchst. Darüber hinaus arbeiten wir mit Videos, Testimonials oder Bewerbungsanleitungen. Mit anderen Worten machen wir uns laufend Gedanken, wie wir diesen Bereich weiterentwickeln können und führen aktuell auch die Diskussion, ob wir für jeden Job einen Bewerbungsbrief brauchen. Ziel ist, die Einstiegshürden zu reduzieren, Hemmungen abzubauen und Orientierung zu bieten. Dafür investieren wir auch entsprechend Manpower, und haben schon erste positive Resultate erzielt: Es gibt eine ‘Best Recruiter-Studie’, in der wir noch vor drei Jahren Platz 11 in der Branche belegten und uns gesamthaft nicht einmal unter den besten 400 befanden. Heute sind wir die Nummer 1 der Branche und insgesamt auf Platz 10. Doch darauf dürfen und wollen wir uns nicht ausruhen. Die anderen Unternehmen überlegen sich bekanntlich ebenfalls, wie sie ihre Fachkräfte für sich gewinnen können.

ISS Schweiz hat einen guten Ruf als Arbeitgeber, das hilft bestimmt bei der Suche nach Fachkräften?

Diesen guten Ruf müssen wir uns laufend erarbeiten, per se ist er nicht gegeben. Wir müssen nicht nur auf Papier, sondern auch im echten Leben einen guten Job machen und eine überzeugende Unternehmenskultur haben, die sich herumspricht. Darüber hinaus merke ich immer wieder, dass ISS Schweiz unterschätzt wird. Neun von zehn Bewerbern sind überrascht, wie breit wir aufgestellt sind und was wir alles machen. Diese Breite an Dienstlistungen müssen wir noch mehr aufzeigen. Und letztlich gewinnen oder verlieren wir mit den ISS Vertreterinnen und Vertretern, die den Bewerbern bei einem Vorstellungsgespräch gegenübersitzen. Wenn diese Kolleginnen und Kollegen ein gutes Gefühl vermitteln und eine Ausstrahlung haben, die motivieren kann, bei uns arbeiten zu wollen, dann können wir Bewerber gewinnen.

Wie viele Inserate schalten sie in einem Jahr?

2018 waren es über 3200 Inserate. Es gab rund 85’000 Inserate-Sichtungen und 26’000 Bewerbungen – 2017 waren es noch 31’000. Im letzten Jahr wurden schliesslich über 2700 Kandidatinnen oder Kandidaten zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Rund 23’000 Bewerber erhielten also eine Absage. Darunter gab es natürlich auch Kandidaten, die eigentlich ein tolles Dossier hatten, aber auf die exakt ausgeschriebene Stelle nicht passten. Wir haben für diese Bewerbenden einen Pool, sie könnten ja für eine andere Stelle in Frage kommen. Wir sind hier aber auch realistisch: es ist nicht immer einfach, diese Kandidaten im Pool wieder zu finden und vielleicht sind sie schon wenige Tage oder Wochen später gar nicht mehr auf der Suche nach einer neuen Stelle.

Wie wählen Sie aus, wer zu einem Vorstellungsgespräch kommt?

Grundsätzlich ist es wichtig, dass der Rekrutierungsprozess schnell verläuft. Bezüglich Selektion gibt für mich nur zwei Kategorien: jene, die die Linie sehen will und jene, die nicht in Frage kommen. Eine Kategorie ‘Zweite Wahl’ macht aus meiner Sicht in den meisten Fällen keinen Sinn. Denn ich habe in meinen 20 Jahren HR noch nie erlebt, dass ein Kandidat aus dieser Kategorie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurde. Denjenigen Bewerbenden, wo zu Beginn ein Vorbehalt besteht, sagen wir rasch und fair ab, damit sie wissen, woran sie sind. Die in Frage kommenden Personen laden wir möglichst rasch zu einem ersten Gespräch ein. Hier möchten wir den Bewerbern auf Augenhöhe begegnen und verhören sie nicht. Diese Zeiten sind meiner Meinung nach definitiv vorbei! Das Ziel dieses Erstgespräches ist es, beidseitig entscheiden zu können, ob sich ein zweites Treffen überhaupt lohnt – wir wollen zusammen eine Basis schaffen. Natürlich möchten wir viel über die Bewerber erfahren, die Bewerber sollen aber auch viel über den Job und über uns erfahren. Beide Seiten sollen spüren können, ob man zueinander passt.

Früher haben sich nur die Bewerber beworben, heute bewirbt sich auch das Unternehmen?

Davon bin ich absolut überzeugt. Es spricht sich herum, wenn man etwas nicht gut macht. Und im Rekrutierungsprozess kann man ganz vieles schlecht machen. Auch sollte nie etwas versprochen werden, das später nicht eintrifft. Wir versuchen deshalb stets realistische Bilder aufzuzeigen, was der Job mit sich bringt. Wenn es eine mit Stress verbundene Stelle ist, sagen wir das im Gespräch. Es bringt nichts, wenn die neue Mitarbeiterin oder der neue Mitarbeiter während der Probezeit erst erkennt, was alles nicht passt. Wir wollen eine volle Transparenz im Gespräch, ehrlich und ausgewogen informieren und auch die Schattenseiten aufzeigen – im besten Fall so, dass der Mitarbeitende nur positiv überrascht wird. Schliesslich gibt es keine Beziehung im Leben, die nur Sonnenseiten hat.

«Gewisse Fähigkeiten kann man sich aneignen, die Attitude eher weniger.»

Verändern sich die Wünsche und Kriterien der Bewerber?

Ich kann das zwar nicht mit einer Studie belegen, aber ich glaube die Menschen legen heute viel mehr Wert auf Freiraum und auf Gestaltungsmöglichkeiten, als auf die rein monetäre Thematik. Mitarbeitende interessiert, wo sie arbeiten können, welche Systemzugänge sie haben, welches Equipment sie dafür erhalten. Und sie wollen sich selbst bleiben. Die junge Generation hat keine Lust mehr, sich einengen zu lassen und gehen starren Strukturen konsequent aus dem Weg. Solchen Dingen muss ein Arbeitgeber aus meiner Optik Rechnung tragen.

Wie dynamisch muss man sein, um für Arbeitnehmende attraktiv zu bleiben?

Sehr; ob dynamisch, trendy oder aufgeschlossen gegenüber Neuem. Ebenso müssen wir kritisch sein, hinterfragen, ausprobieren. So versuchen wir beispielsweise im Kontext der Digitalisierung innovative Wege zu gehen. Wir sind zwar nicht Apple und werden es auch nie werden, aber wir haben viele Mitarbeitende, die Konzepte erarbeiten, Antworten suchen und Neues ausprobieren. Dabei klappt nicht immer alles. Aber wir entwickeln uns ständig weiter. In diesem Sinn suchen wir auch Mitarbeitende, die Lust haben etwas zu verändern oder die sich selbst auch immer wieder hinterfragen. Heute ist alles in Bewegung. Wir müssen dementsprechend offen sein und auch zugeben können, wenn wir noch Luft nach oben haben. Genau damit zeigen wir nämlich auf, dass wir erkannt haben, wo es noch fehlt.

Welche Rolle spielen Absolventen von Studiengängen in der Fachkräfterekrutierung?

Wir interessieren uns sehr für diese Berufsgruppe. Wir haben Mitarbeitende, die bei uns nach einem Studiengang ein Praktikum machten und heute in der Geschäftsleitung sitzen. Wenn der Studienabgänger zuvor schon gearbeitet hat, ist dies für uns derzeit wertvoller als jemand gänzlich ohne Arbeitserfahrung. Letzteres erlebte ich bislang weniger als Erfolgsmodell – doch jemand aus einem FM-Studium, sehr gerne!

Welche Skills vermissen sie unter den Absolventen?

Ich will mir nicht anmassen, das abschliessend beurteilen zu können. Ich hatte in der Vergangenheit aber schon den Eindruck gewonnen, dass Studienabgänger zwar starke konzeptionelle Fähigkeiten mitbringen, ihre Auftrittskompetenz, insbesondere beim Sprechen vor Publikum, jedoch noch Verbesserungspotential aufweist. Die Auftrittskompetenz ist für unsere Branche zentral. Wir stehen Kunden gegenüber, die gestandene Persönlichkeiten sind, da braucht es oft mehr als nur die inhaltlichen Skills.

Veröffentlicht in der Fachzeitschrift “fmpro service” (Frühling 2019).