Übergewicht bei Kindern wird zu einem Problem. Häufige Ursache ist Bewegungsmangel. Dabei bringt regelmässige Bewegung weit mehr als nur ein gesundes Gewicht.

Es ist Frühling. Die Tier- und Pflanzenwelt erwacht und bewegt sich. Nur wir Menschen tun uns schwer damit. Viel zu oft bleiben wir sitzen, schauen fern oder beschäftigen uns mit Videospielen. Schliesslich ist auch unser Umfeld nicht mehr das selbe wie früher. Die Wiese vor dem Haus ist verbaut, genauso wie der Schlittelhügel von einst. Auf die Strasse getrauen wir uns schon gar nicht mehr. Für unsere Kinder herrscht dort zu viel Verkehr, parkierte Autos könnten Schaden nehmen.

Folgen

Dies stellt uns vor ein grosses Feld von Problemen. Gemäss verschiedenen Studien ist jeder fünfte Schweizer übergewichtig, jeder 15. fettleibig. Tendenz steigend. In den USA haben sich diese Zahlen in nur 20 Jahren verdreifacht. Und auch hier sind sie auf dem selben Weg. Bewegungsmangel verursacht in der Schweiz in einem Jahr zirka 2000 Todesfälle und 1,4 Millionen Erkrankungen. Die direkten Behandlungskosten belaufen sich auf 1,6 Milliarden Schweizer Franken. Wer als Jugendlicher keinen bewegten und trainierten Körper hat, wird im Alter früher auf fremde Hilfe angewiesen sein. Diabetes II, früher eine Alterskrankheit, wird vermehrt bei Jugendlichen diagnostiziert. Herzkreislaufkrankheiten treten immer häufiger auf, eine Osteoporose-Epidemie (poröse Knochen) ist vorprogrammiert. All diese Entwicklungen haben vor allem eine Ursache: Zu wenig Bewegung.

Für Kinder besonders wichtig

Ein pädagogischer Elternabend des Schulhauses Chapf in Gossau nahm sich dem Thema an. Die Organisatoren luden Thomas Lehmann als Referenten ein. Er ist eidgenössisch diplomierter Turn- und Sportlehrer, Experte für die Kontrolle von Fitnesscentern und führt Gesundheitsberatungen durch. Er zeigte auf, wie Eltern, aber vor allem ihre Kinder mit den Gefahren von mangelnder Bewegung umgehen können. Denn für Kinder ist Bewegung noch viel wichtiger. Sie hält nicht nur das Gewicht in einem gesunden Rahmen, sondern entwickelt auch die Raumorientierung, die Koordinationsfähigkeit und das Gleichgewicht. Bewegungsabläufe werden präziser und der Informationsfluss – also die Wahrnehmung – wird angeregt. Kinder werden so geschickter und verhalten sich im Verkehr und im öffentlichen Leben sicherer. „Nach den Sommerferien kommt es immer wieder vor, dass die Kinder in der Turnstunde einfach ineinander rennen. Wer sich in diesen fünf Wochen nicht bewegt hat, zeigt bereits einen klaren Leistungsabfall,“ sagt Lehmann.

Besonders deutlich zeigen sich diese Auswirkungen beim Radfahren. Verschiedene Bewegungsabläufe kommen da zusammen. Das Hirn muss auf den Verkehr achten, beim Abbiegen muss sich der Radfahrer umdrehen und nach hinten schauen. „Velofahren ist bei Zehn- bis Vierzehnjährigen die häufigste Unfallursache,“ weiss Lehmann.

Rezepte

In Workshops erarbeiteten Eltern und Lehrer Methoden, wie sich die Kinder mehr bewegen können. Das Resultat: Der nahe Wald, die Badi, Möglichkeiten zum Schlitteln, Balgen wie auch Fussballspielen seien in Gossau genug vorhanden. „Die Angebote im Schulhaus Chapf werden gut genutzt,“ weiss die Lehrerschaft, „Bäume wurden nicht gefällt, die Kinder klettern gerne darauf. Auch zum Kriechen, Balancieren oder Schwingen haben wir Möglichkeiten auf dem Pausenplatz, welche bei den Kindern der Renner sind. Einzig in den Schulzimmern wird der Platz immer enger, die Schülerzahlen pro Klasse steigen.“

Fehlt vielleicht vor allem die Vorbildfunktion der Eltern? Sie kommen abends nach Hause, verspüren kaum mehr Lust auf Bewegung und – obwohl Bewegung auch Stress abbaut – setzen sie sich vor den Fernseher. Diese Geräte sind für Lehmann kaum mit Kindern zu vereinbaren: „Ein Kind lernt durch fühlen, riechen und schmecken. Es muss klettern und lärmen können, durch den Matsch laufen. Das führt zu einer ganzheitlichen Bildung, gibt soziale Kompetenz, entwickelt Leistungsbereitschaft im Alltag und schafft Energiereserven,“ sagt Lehmann. „Auch das BAG empfiehlt, sich täglich mindestens eine Stunde zu bewegen. Sport zu treiben ist für Kinder also unerlässlich. Aber auch dieser kennt seine Grenzen: Bei Spitzensport hört die Gesundheit auf!“

Veröffentlicht im Zürcher Oberländer (Mai 2006).