Biosicherheit ist in aller Munde. Aber worum geht es genau? Inwiefern betrifft das Thema Arbeitgebende und Arbeitnehmende? Dr. Edgar Käslin ist Experte für Biosicherheit und arbeitet für die Suva, in der Abteilung Arbeitssicherheit. Er bringt uns auf die Spur.
Biosicherheit? Klar, schon oft gehört. Aber worum geht es eigentlich? Ich frage einen, der es wissen muss. Dr. Edgar Käslin ist Spezialist für Fragen zur Biosicherheit betreffend Arbeitnehmerschutz, hat man mir gesagt. Er findet Zeit und führt mich auf die Spur.
«Biosicherheit ist ein enorm breites Gebiet. Sie haben Recht, Fragen zu Schutzmassnahmen gegen Bioterrorismus gehören auch dazu. Darüber können ihnen jedoch die Spezialisten des Labors Spiez mehr erzählen.
Ganz grob kann man sagen, dass mit dem Begriff Biosicherheit der Schutz der belebten Umwelt und des Menschen vor negativen Auswirkungen durch Organismen gemeint ist. Selbstverständlich sind dabei auch gentechnisch veränderte Organismen gemeint. Die Biosicherheit in Bezug auf den Umwelt-, Bevölkerungsund Arbeitnehmerschutz ist natürlich kein neues Thema. In der Schweiz wurde die Thematik jedoch in einer breiten Öffentlichkeit erst mit der Genschutzinitiative in den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts vertieft diskutiert», sagt Käslin.
«Wir befinden uns hier in der Abteilung Arbeitssicherheit der Suva und werden uns deshalb in diesem Gespräch auf den Bereich des Arbeitnehmerschutzes konzentrieren. Man muss allerdings auch gleich sagen, dass der Schutz der Arbeitnehmenden im Bereich der Biosicherheit in vielen Aspekten Hand in Hand mit dem Umwelt- und Bevölkerungsschutz geht.
Wie sie sicher schon wissen, besteht im Unfallversicherungsgesetz (UVG) und im Arbeitsgesetz (ArG) bereits die allgemeine Forderung, dass der Arbeitgeber alle Massnahmen zur Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten treffen muss, die nach der Erfahrung notwendig, nach dem Stand der Technik anwendbar und den gegebenen Verhältnissen angemessen sind. In der Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz (ArGV3) wird diese Forderung noch etwas erweitert: Demnach muss der Arbeitgeber dafür sorgen, dass die Gesundheit der Arbeitnehmenden nicht durch schädliche physikalische, chemische oder biologische Einflüsse beeinträchtigt wird. Es gibt also eine sehr generelle Forderung, die Arbeitnehmenden vor biologischen Einflüssen wie etwa Mikroorganismen zu schützen.»
Mikroorganismen
Es geht also um Mikroorganismen. Solche, die gefährlich sind, und solche, die es nicht sind. Oder die es erst werden?
«Das ist richtig. Es geht auch um die Gefährdungen durch Mikroorganismen. Einem breiteren Publikum sind hier vor allem Bakterien oder etwa Schimmelpilze, aber auch Viren bekannt. Es gibt aber auch noch andere Organismen, die man unter dem Begriff Mikroorganismus zusammenfasst. Man kann Mikroorganismen grob in apathogene und pathogene Keime aufteilen. Apathogene Mikroorganismen sind für gesunde Menschen in der Regel unproblematisch, wohingegen pathogene Keime Krankheiten im Sinne einer Infektion oder einer Vergiftung auslösen können. Die meisten Mikroorganismen, die wir kennen, sind apathogen. Wie wir noch sehen werden, können auch diese apathogenen Mikroorganismen in gewissen Situationen zum Problem werden. Zwei zentrale Begriffe müssen wir in diesem Zusammenhang unterscheiden: Umgang und Exposition. Mit Umgang ist die gezielte Tätigkeit mit apathogenen, pathogenen oder gentechnisch veränderten Organismen gemeint. Man weiss also, womit man umgeht. Das wiederum hat bestimmte Konsequenzen. Der Gesetzgeber fordert nämlich, dass der Umgang mit solchen Organismen in der Regel in einer geschlossenen Einrichtung, wie etwa einem Labor oder einer Produktionsanlage, stattfindet. Dies ist unter anderem in der Einschliessungsverordnung (ESV) und der Verordnung über den Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Gefährdung durch Mikroorganismen, der SAMV, geregelt. Die ESV hat vor allem den Bevölkerungs- und Umweltschutz zum Ziel. Der Fokus der SAMV liegt beim Schutz der Arbeitnehmenden, die entweder mit Mikroorganismen umgehen oder aber gegenüber Mikroorganismen exponiert sind», erklärt Käslin.
Das habe ich soweit verstanden. Aber wie ist das nun genau mit der Exposition?
«Die SAMV sagt aus, dass auch ohne Umgang eine Gefährdung des Arbeitnehmenden durch Mikroorganismen bestehen kann und entsprechende Schutzmassnahmen getroffen werden müssen. Mikroorganismen, die in kleiner Zahl für die meisten Menschen kein Problem darstellen – also zum Beispiel keine Infektionen auslösen –, können, wenn sie in grosser Zahl und über längere Zeit auf den menschlichen Körper einwirken, zu gesundheitlichen Problemen führen. Nehmen wir das Beispiel eines Angestellten in einem Hühnerstall eines landwirtschaftlichen Betriebs. Dort finden sie in der Luft Staub in relativ hoher Konzentration. Dieser Staub ist mit Mikroorganismen belastet, vor allem Schimmelpilzsporen und Bakterien. Der ungeschützte Arbeitnehmende atmet neben dem Staub auch die Mikroorganismen ein, ist also gegenüber diesen Mikroorganismen exponiert. Bei längerer Exposition gegenüber hohen Konzentrationen an Mikroorganismen kann es zu gesundheitlichen Problem kommen. Im Vordergrund stehen hier bestimmte Atemwegserkrankungen.
Es gibt aber auch Situationen, in denen man im Berufsleben pathogenen Organismen ausgesetzt sein kann, ohne gezielt mit diesen umzugehen. Ich meine beispielsweise Stich- und Schnittverletzungen mit einer möglichen Übertragung eines infektiösen Mikroorganismus über kontaminierte Spritzen oder Klingen. Auch hier spricht man von einer Exposition gegenüber Mikroorganismen. Insbesondere die Arbeitnehmenden des Gesundheitswesens aber auch der Abfallwirtschaft können durch eine solche Exposition gefährdet sein. Es braucht also auch hier Überlegungen im Rahmen einer Gefahrenermittlung und Risikobewertung, wie der Arbeitnehmende in diesen Situationen geschützt werden kann.»
Zurück ins Labor und zum Umgang. Welche sind die gefährlichsten Mikroorganismen?
«Mikroorganismen werden in vier Risikogruppen eingeteilt. Die Einteilung wird vom Bundesamt für Umwelt in Listen publiziert. Diese können unter www. contactbiotech.ch abgerufen werden. In der Gruppe 4 sind Mikroorganismen eingeteilt, die ein hohes Risiko aufweisen. Im Moment finden sie in Gruppe 4 ausschliesslich Viren, beispielsweise Ebola- Viren. Mit solchen Organismen gehen nur hoch spezialisierte Labors um.»
Schutzmassnahmen
«Aus den Risikogruppen lässt sich ableiten, wie der Schutz der Umwelt und der Arbeitnehmenden aussehen muss. Entsprechend den vier Risikogruppen gibt es vier Sicherheitsstufen. Eine Einstufung in die Risikogruppe 2 hat in der Regel Schutzmassnahmen der Sicherheitsstufe 2 zur Folge. Je höher die Risikogruppe und die resultierende Sicherheitsstufe, desto umfangreicher sind auch die notwendigen Massnahmen. Die zu treffenden baulichen, apparativen, organisatorischen und auch personenbezogenen Schutzmassnahmen sind in der ESV und SAMV für die verschiedenen Sicherheitsstufen in Tabellen zusammengefasst. Da wird beispielsweise verlangt, dass der Zutritt zu einem Labor ab Sicherheitsstufe 2 kontrolliert werden muss oder dass eine Sicherheitswerkbank für gewisse Tätigkeiten im Labor vorhanden sein muss.»
Wie kann garantiert werden, dass keine Organismen aus den Labors gelangen?
«Es gibt verschiedene Austrittspforten, etwa die Abluft, das Abwasser, den Abfall und anderes Material oder auch den im geschlossenen System arbeitende Menschen, die beachtet werden müssen. Je nach Sicherheitsstufe verfügen Labors oder Produktionsanlagen über verschiedene Massnahmen, die den Austritt der Organismen über diese Austrittspforten reduzieren oder verhindern. In Labors der Sicherheitsstufe 3 herrscht in der Regel atmosphärischer Unterdruck, und die Abluft wird über Spezialfilter geführt. Dies verhindert, dass Mikroorganismen über die Luft aus dem Labor gelangen.»
Sind Tätigkeiten mit Mikroorganismen bewilligungspflichtig?
Es gibt in der Schweiz eine Melde- und Bewilligungspflicht für Tätigkeiten mit gezieltem Umgang mit Mikroorganismen. Die Details sind in der ESV respektive SAMV geregelt. Die Koordination der Meldungen und Bewilligungen geschieht über die Kontaktstelle Biotechnologie des Bundes.
Aus dem Labor in die Natur
Ambrosia. Fällt das nun auch in unseren Bereich?
«Ja, auch der Schutz der Arbeitnehmenden und der Bevölkerung vor negativen Einflüssen der Pflanze Ambrosia, zu deutsch Aufrechtes Traubenkraut, ist ein Aspekt der Biosicherheit. Und wir haben ja bereits gesehen, dass das Arbeitsrecht die generelle Forderung stellt, wonach Arbeitnehmende vor biologischen Einflüssen zu schützen sind. Beispielsweise kann Ambrosia die Arbeitnehmenden im Forst oder auch Gemeindearbeiter betreffen, die mit der Pflanze respektive deren Pollen in Berührung kommen können. Diese Arbeitnehmenden gilt es mit geeigneten Massnahmen, wie etwa Atemund Hautschutz, vor den Pollen von Ambrosia zu schützen.»
Welche Probleme löst Ambrosia denn aus?
«Die Pollen, also der Blütenstaub von Ambrosia, lösen bei ungefähr 15 Prozent der Bevölkerung Allergien aus. Besonders gefährdet sind Menschen mit einer bereits bestehenden Allergie. Bei einem Teil der Betroffenen können mit der Zeit auch schwere Symptome wie etwa Asthma eintreten. In seltenen Fällen lösen Ambrosia-Pollen auch Hautausschläge aus.»
Wen betrifft Biosicherheit noch?
Langsam, aber sicher weiss ich Bescheid: Biosicherheit betrifft Mitarbeitende in Labors, in Produktionsanlagen oder in der Natur. Richtig?
«Das ist richtig. Wenn man mit Mikroorganismen umgeht geschieht das in der Regel in Labors oder Produktionsanlagen. Biologische Risiken gibt es aber eben auch an anderen Arbeitsplätzen. Als Faustregel kann gesagt werden, dass an vielen Arbeitsplätzen, wo Staub organischen Ursprungs generiert wird, auch Mikroorganismen in erhöhtem Ausmass in der Luft sein können. Es gibt aber auch Situationen, in denen erhöhte Konzentrationen von Mikroorganismen in der Luft vorkommen können, ohne dass offensichtlich viel Staub vorliegt. Als Beispiel wäre hier die technische Raumlüftung zu nennen, die bei schlechter Wartung und Instandhaltung zu einer Quelle für Mikroorganismen wird und zu erhöhten Keimzahlen in Innenräumen führen kann.»
Gibt es in diesem Zusammenhang zum Schutz der Menschen bestimmte Vorgaben?
«In der Schweiz gibt es seit 2003 die Richtlinie VA104-01 des Schweizerischen Vereins von Wärme und Klima-Ingenieuren über Hygieneanforderungen an raumlufttechnische Anlagen und Geräte. Diese Richtlinie gibt den momentanen Stand der Technik vor. Für Befeuchtungsgeräte und -anlagen werden zudem im Suva Merkblatt Luftbefeuchtung Richtwerte für die Verkeimung des Befeuchterwassers aufgeführt und notwendige Massnahmen beschrieben,» sagt Käslin. «In Wohn- und Arbeitsräumen können aber auch Bedingungen, die eine starke Verschimmelung fördern, unter Umständen zu erhöhten Schimmelpilzsporen-Konzentrationen in der Atemluft führen, was wiederum gesundheitliche Beschwerden auslösen kann.»
Darf ich guten Gewissens atmen?
«Selbstverständlich. Schimmelpilze und Bakterien sind (fast) allgegenwärtig. Im Freien oder auch in bewohnten Räumen atmen sie Luft ein, die mit einigen hundert Keimen pro Kubikmeter befrachtet ist. Im Freien unterliegt diese Zahl sehr starken saisonalen und witterungsbedingten Schwankungen und kann auch mal über 1000 Keime pro Kubikmeter Luft betragen. In Innenräumen ist diese Zahl im Normalfall vor allem von den Keimzahlen draussen und den Bewohnern der Räume abhängig. Wir alle geben ständig Bakterien an die Umgebung ab. Im Moment atmen wir zirka 500 Keime pro Kubikmeter Atemluft ein. Im Normalfall ist diese Keimbelastung für uns kein Problem.»
Gibt es ein Mass dafür, ab wann eine Keimbelastung der Atemluft ein Problem werden kann?
«Wie man schon erahnen kann, gibt es keine klare Grenze zwischen Gut und Böse. Für Arbeitsplätze gibt es jedoch eine Beurteilungshilfe in Form von Orientierungswerten für die Belastung der Luft mit Mikroorganismen. Diese sind in der Publikation der Suva Grenzwerte am Arbeitsplatz aufgeführt. Diese Werte können zur Beurteilung der Belastung der Atemluft mit Mikroorganismen in Arbeitsbereichen unter Berücksichtigung weiterer Faktoren herangezogen werden.»
Veröffentlicht in der Fachzeitschrift Safety-Plus (Mai 2007).
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