Die Diskussionen rund um das Rauchen nehmen langsam ab. Es steht ausser Frage, dass die Gesundheit aller auf dem Spiel steht. Auch Raucher entwickeln ein Bewusstsein, dass sie ihr Umfeld stören könnten. Viele haben sogar aufgehört.

Ich bin Nichtraucher. In diesem Augenblick, als ich den Artikel zu Ende schreibe, seit genau 13 Wochen. Keine Zigarette.

Angefangen hat alles damals, ich war jung, ich war dumm. Heute bin ich älter und wage zu behaupten, ich sei auch etwas klüger, oder zumindest vernünftiger. 13 Jahre Nikotinsucht liegen dazwischen. Immer wieder versuchte ich aufzuhören. Nach spätestens drei Tagen warf ich den Bettel jeweils hin.

«Das ist genau der Punkt,» sagt Dr. Christian Lüdke, als ich mit ihm darüber spreche. «Sie dürfen es nicht versuchen. Entweder wollen sie, oder sie wollen nicht. Wer versucht, verliert.»

Ich stehe mit Dr. Lüdke immer wieder in Kontakt, seit er damals ein Buch zur vernetzten Opferhilfe veröffentlichte. Als wir über mögliche Themen für Beiträge nachdenken, komme ich auf das Rauchen zu sprechen und klage, es sei nun doch langsam ein Übel. Ich sei in der Redaktion einer Fachzeitschrift zu Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz tätig und schleiche mich an entsprechenden Veranstaltungen noch immer davon, um eine Zigarette zu rauchen. Alles stinke, das Auto, die Kleider, ich selbst. Es sei jetzt wirklich genug.

Spontan lädt mich Dr. Lüdke zu seiner Raucherentwöhnung ein. Zusammen mit Dr. Heiner Borgmann geht er im deutschen Städtchen Lünen der Tabakindustrie an den Kragen. Lüdke selbst ist Psychologe und Psychotherapeut, Dr. Borgmann ist Arzt für Orthopädie und Akupunktur.

Eine Lösung

Den Tag meiner Raucherentwöhnung starte ich mit fünf Zigaretten. Dann verlasse ich den Frühstückstisch und treffe mich mit Dr. Lüdke in einer Eisdiele in Lünen. Ich rauche eine Zigarette. Was ich noch nicht weiss und woran ich auch überhaupt nicht denke: Es ist die Letzte.

Lüdke erzählt mir aus seinem Erfahrungsschatz: «Nikotinabhängigkeit gehört zu den problematischen Süchten. Um sie nachhaltig kontrollieren zu können, haben wir eine Methodik der Eigenkontrolle entwickelt. Wir setzen auf die Verknüpfung von drei einflussreichen Ebenen unseres Körpers: unbewusst steuernde Erfahrungen, körperliche Antwort auf Reize und Steuerung durch bewusst gemachtes Wissen. Diese Kombination bringt den Erfolg.»

Der erste Teil, die Hypnose, bewirkt eine Änderung der inneren Einstellung. Das Rauchen wird durch positive Verhaltensweisen ersetzt. Der Erfolg der Hypnose hängt entscheidend von der Motivation ab, mit dem Rauchen aufhören zu wollen.

Der zweite Teil, die Ohrakupunktur, wurde vor allem durch ihre Erfolge bei Suchtkrankheiten bekannt. Im Gegensatz zur Körperakupunktur lässt sich die Psyche über das Ohr wesentlich direkter und somit wirkungsvoller beeinflussen. Ausserdem können am Ohr im Gegensatz zur Körperakupunktur Dauernadeln verwendet werden. Durch deren Einsatz lässt sich der Reiz mit Hilfe von Magneten selber verlängern und immer wieder neu stimulieren.

Hypnose

Vor meinem Besuch in Lünen machten mich verschiedene Menschen in meinem Umfeld auf Gefahren der Hypnose aufmerksam und obwohl ich mich davon nicht beeinflussen liess, denke ich nun doch daran. Ich sitze mit fünf weiteren

Ausstiegswilligen in einem Raum in Dr. Borgmanns Praxis. Jeder und jede von uns blickt auf eine lange Geschichte als Raucher und möchte endlich aufhören. Die verschiedensten Versuche schlugen fehl. Ich bin definitiv der Jüngste in der Gruppe und denke mir, dass ich es noch leicht haben muss – im Vergleich. Besonders beeindruckt mich eine ältere Dame, die nicht nur Raucherin, sondern auch Besitzerin eines Tabakladens ist. Welch eine Herausforderung.

Was ich dann erlebe, erstaunt mich. So habe ich mir Hypnose wirklich nicht vorgestellt. Sensationsberichte über so genannte Bühnenhypnose kann ich nicht bestätigen. Ich bin völlig mich selbst, kann mich an alles erinnern und tue nichts. Ich denke in Bildern, eine Art Tagtraum. Die Realität rückt in den Hintergrund. Ich höre einfach zu. Ich bin konzentriert, fokussiert, manchmal schweife ich ab. Dr. Lüdke führt uns an unseren individuellen Wohlfühlort, lässt Schlechtes per Ballon davonfliegen, führt uns über eine Rolltreppe in ein Kino und zeigt uns einen Film. Von dort leitet er uns wieder zurück. Erst am Ende kommt Lüdke auf das eigentliche Thema zu sprechen: Als er uns aus der Hypnose zurückholt, sagt er, wir seien nun Nichtraucher. Ob sich dies bewahrheiten wird?

«Wir haben eine Erfolgsquote von 70 bis 90 Prozent,» sagt Lüdke, «zehn Prozent der Menschen sind nicht hypnotisierbar, dann ist diese Methode nicht umsetzbar. In diesem tiefen Entspannungszustand des heilsamen Bilderlebens, den sie soeben erlebten, haben sie sich einen individuellen Ersatz gesucht und die Entscheidung verankert, mit dem Rauchen aufzuhören – und zwar in beiden Gehirnhälften. Damit entfällt der innere Kampf zwischen «du sollst nicht rauchen» und «aber ich muss doch». Sie haben sich auf allen Ebenen entschieden, mit dem Rauchen aufzuhören. Und das wirkt nachhaltig, auch Tage, Wochen, Monate und Jahre nach der Behandlung.»

Ohrakupunktur

Es folgt eine kurze Einzelhypnose mit der klassischen EMDR-Methode (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) – meine Augen folgen der Bewegung von Dr. Lüdkes Finger während ich gewisse Sätze laut wiederhole. Dann empfängt mich Dr. Borgmann. Das ist nun doch der eher etwas unangenehmere Teil der Aktion, habe ich doch meine Schwierigkeiten mit Nadeln, besonders wenn sie in meinen Körper sollten. Und wenige sind es nicht. Aber effektive.

Dr. Borgmann verwendet Dauernadeln. Diese können sieben bis zehn Tage lang im Ohr bleiben, der Körper stösst sie dann ab. Borgmann agiert mit einer unglaublichen Fingerfertigkeit, ich spüre kaum etwas. Schnell findet er die entsprechenden Punkte und perforiert meine beiden Ohren. Im Nebenzimmer stimuliert ein Trigon-Aplicator die Nadeln. Ein Prozess, der sich mit Küchenmagneten zu Hause leicht wiederholen lässt.

Es geht alles sehr schnell, ich weiss kaum wie mir geschieht. Schon stehe ich wieder draussen und versuche, allfällige Anfälle von Gier auf Zigaretten auszumachen. Noch ist da nichts.

Freie Radikale

Auf meinem Heimweg beginnt die erste Phase. Im Sekundentakt fallen mir Zigaretten ein. Aber ich fühle mich aussergewöhnlich bestärkt in meinem Vorhaben. Die erste Nacht ist einfach. Der zweite Tag geht auch. Am dritten Tag aber wird es hart. Ich erinnere mich, immer wieder an genau diesem dritten Tag den Bettel hingeschmissen zu haben. Aber dieses Mal sollte ich stärker sein. Ich bringe auch diesen Tag ins Bett und wache am vierten Morgen erleichtert auf. Der wichtigste Schritt ist getan. Ab diesem Moment ist alles nur noch eine Frage der Gewohnheit. Jede Situation, welche ich zum letzten Mal rauchend erlebte, ist ungewohnt. Aber immer nur dieses eine Mal. Die grosse Aufgabe besteht noch nach 13 Wochen vor allem darin, diese Gewohnheiten zu ändern, mich an veränderte Bilder zu gewöhnen.

Dr. Lüdke und Dr. Borgmann rieten mir schon vor der Behandlung, besonders auf meine Ernährung Acht zu geben. So esse ich wie gewohnt viel Gemüse, ergänze die Nahrung aber mit Vitaminpräparaten. «Durch ihr früheres Raucherleben haben Sie vielen freien Radikalen das Leben geschenkt,» erklärte Dr. Lüdke. «Unser Organismus verarbeitet bis zu drei Prozent des Sauerstoffs fehlerhaft. Es entstehen Moleküle, deren Elektronenhülle ein Elektron fehlt und die somit ein energetisches Ungleichgewicht entwickeln. Ein so genanntes freies Radikal. Immer mehr geraten diese in Verdacht, Ursache für viele Erkrankungen zu sein. Bei Rauchern ist erwiesen, dass ihr Organismus einen hohen Anteil freier Radikaler aufweist und deshalb täglich überdurchschnittlich geschädigt wird. Die richtige Ernährung in den kommenden Wochen wird wichtig sein, damit sich ihr Körper richtig umstellen kann.»

Gesagt, getan. Kennen gelernt habe ich in den vergangenen 13 Wochen allerdings ganz andere freie Radikale. Ich erlebte Stimmungsschwankungen und -zustände, die mir gelegentlich Angst machten. Es schien in manchen Momenten so, als ob mir jegliche Lebensgrundlage fehlte, ohne dabei aber an das Rauchen zu denken. Im Gespräch mit vielen ehemaligen Rauchern fand ich die Bestätigung, dass es nicht nur mir so ging. «Solche Depressionen sind bekannt,» bestätigt Dr. Lüdke, «aber sie sind kurzfristig. Verschiedene Langzeitstudien beweisen im Gegenteil, dass das Rauchen depressiv macht – und jene Depressionen sind langfristig.»

13 Wochen nach der Behandlung stehe ich wieder mit Dr. Lüdke in Kontakt. Er freut sich über meinen Erfolg und hat gute Nachrichten: Alle fünf Mitprobanden haben es geschafft. Auch die Dame aus dem Tabakladen. Wir sind Nichtraucher.

Veröffentlicht in der Fachzeitschrift Safety-Plus (November 2007).