Peter Rüegsegger müsste nicht mehr arbeiten. Er tut es aber doch. Nicht, weil es ihm sonst langweilig wäre, sondern weil er gerne etwas zurückgibt, weil es noch immer Spass macht und weil es ein gutes Gefühl ist, helfen zu können und gebraucht zu werden.
„Die meisten Kunden schätzen die Revisionen“, sagt Peter Rüegsegger. „Sie geben ihnen die Gewissheit, korrekt gearbeitet zu haben. Einige wenige haben unseren Besuch aber gar nicht gerne. Einer setzte mich in den gefühlt 50 Grad heissen Estrich, als ich im Hochsommer kam. Also meldete ich mich vier Jahre später im Winter an. Dass er auch einen sehr kalten Keller hatte, wusste ich erst später.“
Profi am Werk
Revisoren wie er prüfen im Vierjahresturnus, ob die Unternehmen die Löhne bei der Suva und bei der AHV korrekt abrechneten. Der Ostschweizer strahlt Routine aus, weiss genau, welche Fragen er stellen muss. Sein Auftreten und sein Blick sind zwar scharf und klar, aber trotzdem sehr freundlich. „Hinter den meisten Fehlern steckt kein böser Wille“, sagt er. „Aber die Statistiken zeigen, dass sich Revisionen lohnen und sich die Revisoren mehr oder weniger selbst finanzieren. Ohne uns müssten die gewissenhaften Kunden mehr Prämien für den verschwindend kleinen Teil der weniger seriösen Betriebe bezahlen. Und solche gibt leider.“ Einmal war er bei einem Maler, der bei der Lohnbescheinigung für die AHV und die Suva nur die Hälfte der ausbezahlten Löhne deklarierte. Auch gab er eine Pensionskasse an, die er gar nicht hatte – die Beiträge zog er den Arbeitnehmenden bei den Lohnabrechnungen aber ab. Er wurde angezeigt und erhielt eine Strafe.
Etwas zurückgeben
Rüegsegger ist heute sechsundsechzig Jahre und drei Monate jung. Arbeiten müsste er nicht mehr. Doch er dachte schon lange, dass er nach der Pensionierung weitermachen möchte. „Ich schätzte die Suva stets als einen super Arbeitgeber, hatte einen interessanten Job und bei den Kunden hiess immer, hier kommt wieder der Herr Suva. Ich fühlte mich so wohl, dass ich nun gerne etwas zurückgebe“, sagt er.
In der Suva Winterthur, wo er vor seiner offiziellen Pensionierung im Februar 2014 arbeitete, war seine Nachfolge schon früh geregelt. Ein halbes Jahr vor der Pensionierung setzte er ein E-Mail auf und fragte bei den Agenturen in der Region Ost nach, ob sie Bedarf an ihm hätten, im Rahmen von 30 bis 40 Stellenprozenten. Die Suva Chur sagte zu. „Ich konnte dort helfen, das war gut für sie und gut für mich“, erzählt er. Ende Februar 2015 lief dieser Jahresvertrag aus. Nun wollte er wirklich aufhören. Aber dann meldete sich die Suva Aarau an und bat ihn um Hilfe. Erst lehnte er ab, am Ende liess er sich doch überreden.
So arbeitet er nun schon seit 30 Jahren bei der Suva, zuerst im Schaden-Aussendienst, dann leitete er eine kleine Agentur in Weinfelden und die Revisionsarbeit kam hinzu. Als die Agentur schloss, wurde er in Winterthur eingegliedert und wurde dort Teamleiter. Doch das gefiel ihm weniger. „Meine Welt ist nicht das Büro“, sagt er, „meine Welt ist der Kunde. Als sich eine Chance bot, zurück in die Revision zu wechseln, nahm ich sie wahr. Seither bin ich wieder glücklich.“
Der Sportler
Als Jugendlicher machte Rüegsegger eine KV-Lehre in einem Treuhandbüro und er spielte Fussball, war Stürmer beim FC Frauenfeld, in der 1. Liga. Nach der Rekrutenschule zog ihn der Fussball nach Nyon. Im fünften Spiel sprang ihm der gegnerische Torhüter in die Beine. Er brach sich das Schien- und das Wadenbein und lag mehrere Wochen im Spital. „Rückblickend war das eine tolle Zeit“, sagt er. „Ich hatte super Krankenschwestern und erhielt viel Besuch.“ Doch dann startete er viel zu früh wieder mit dem Training und erlitt einen Ermüdungsbruch. Mit 24 Jahren, als er noch einmal angreifen wollte, sprang ihm wieder ein Goalie in die Beine, wieder auf das Schienbein und wieder brach es. „Dann hörte ich auf“, erzählt er. Bald begann er Tennis zu spielen und das macht er noch heute. Sein Orthopäde sagt zwar, er sei ein Trottel, denn vor drei Jahren bekam Rüegsegger ein neues Kniegelenk. „Es geht aber grossartig“, sagt er.
London und Italien
Während seiner Berufslaufbahn lebte Rüegsegger mehrere Monate in London, einer spannenden Stadt für einen Fussball-Fan. Er wohnte im Nordosten, in der Nähe der Stadien von Arsenal London und der Tottenham Hotspurs. „Aber die Spiele schaute ich mir lieber im Südwesten an, Chelsea oder die Queens Park Rangers, die haben ein richtig schönes Stadion“, erzählt er. Noch heute reist er oft und gerne nach London, zu den ATP Tour Finals und einem Fussballmatch.
Damals war er dort, weil er die Swiss Mercantile School besuchte. An der Schule lernte er auch seine Frau kennen, eine Italienerin. „Das war eine wegweisende Begegnung und es ist bis heute noch gut“, sagt er. Früher dachte er, er würde im Alter gerne in Italien leben, im Piemont oder in der Toscana. „Doch meine Frau sagte, ich könne schon gehen, sie komme aber nicht mit. Jetzt leben wir halt in Wigoltingen. Das ist auch schön“, sagt er. Anstatt nach Italien zu gehen, hat er sich Italien einfach in seinen Keller geholt. Dort stehen zwischen 700 und 800 Flaschen Wein. Alles Italiener.
Langeweile kennt er nicht
Seine Frau ist ganz froh, dass er noch ein bisschen arbeitet. „Wäre ich die ganze Woche zu Hause, würde ich ihr noch sagen, wie sie den Staubsauger halten müsse. Das käme nicht gut“, sagt er. Eigentlich wollte er nach der Pensionierung Taxi-Fahrer werden, allenfalls Privatchauffeur. Doch seine Frau legte ein Veto ein. Das sei viel zu gefährlich.
Es ist nicht so, dass Rüegsegger mit der neu gewonnenen Freizeit nichts anzufangen wüsste. Er ist viel unterwegs, kümmert sich um den Garten und unterstützt die Schwiegereltern, die nicht mehr so fit sind. Er macht Sport und spaziert mit dem Hund seiner Tochter, einem kleinen, schwarzen, lieben Mischling, ein richtiger Knuddel sei das. Seine jüngere Tochter schloss kürzlich ihr Studium ab, die ältere ist Sekundarlehrerin, sei aber immer auf Reisen. Auch er reist gerne und wenn seine Frau die neue Küche bekomme, die sie sich wünsche, gehe er einen Monat lang in die Ferien, das halte er sonst nicht aus. Südamerika würde ihn reizen. Enkel gibt es zwar noch keine, aber das komme vielleicht auch noch. Dann habe er noch ein Hobby mehr. „Die Tage gehen im Nu vorbei“, sagt er. „Ich stehe natürlich nicht mehr um sechs Uhr auf, eher um acht Uhr, und man wird ein bisschen bequemer, wenn man nicht mehr so viel um die Ohren hat.“
Gebraucht werden
Rüegsegger hat viele Freunde, die sich frühpensionieren liessen. Einer arbeitete bei einer Bank, andere waren Lehrer. „Sie verstehen mich nicht“, sagt er. „Ich versuche mich dann zu erklären, beispielsweise dass ich fast selbständig bin, selber planen kann, dass sich niemand einmischt und dass das wahnsinnig toll ist.“ Auch sei es heute ein anderes Arbeiten als früher: „Ich weiss genau, wie sehr meine Arbeit geschätzt wird. Dieser Dank ist spürbarer als noch während dem normalen Erwerbsleben.“ Angst vor dem Alter hat er nicht, aber dass er eines Tages nicht mehr gebraucht werden könnte, das bereitet ihm schon ein bisschen Sorgen. Nochmals jung sein möchte er heute trotzdem nicht mehr. „Klar war es schön, ich genoss es in vollen Zügen“, sagt er. „Aber ich geniesse das Leben auch heute und fühle mich jünger, als ich tatsächlich bin.“
Wenn sein Vertrag in Aarau Ende 2015 ausläuft, ist Peter Rüegsegger bald 67 Jahre jung. „Dann ist Schluss, dann habe ich den Ruhestand verdient. Aber vielleicht kommt dann auch die Suva Bellinzona und braucht meine Hilfe. Das Tessin ist eine schöne Gegend“, sagt er und lächelt.
Veröffentlicht im Suva-Mitarbeitermagazin „équipe“ (Juli 2015).
Zum Original-Beitrag:
Bild: Dominik Wunderli
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