Lisa Pedrazzi kontrolliert Betriebe und Baustellen rund um radioaktive Strahlung. Ein Kontrollfreak ist die Physikerin zwar nicht und abschalten kann sie gut. Den Kontrollblick wird sie trotzdem nicht einfach so los. Schliesslich geht es um Menschen und deren Gesundheit.

„Auf die Idee, Physik zu studieren, kam ich erst während dem Gymnasium“, sagt sie. „Ich mag es, wenn ich eine Erklärung für etwas habe und wenn ich jemandem helfen kann. Deshalb studierte ich Physik und wählte die Fachrichtung Medizin-Physik. Die Experimentalphysik liegt mir mehr als die reine Theorie. Klar wäre es spannend, am CERN das Higgs Boson zu finden, aber ob mir das zu einem besseren Leben verhelfen würde – ich weiss nicht. Wenn jemand bei der Arbeit etwas weniger Angst hat, ist das etwas anderes.“

Suva statt Spital
Mit dem Wetter in der Deutschschweiz kämpft Lisa Pedrazzi noch heute, zwölf Jahre nachdem sie aus dem warmen Tessin nach Zürich zog und an der ETH mit dem Physik-Studium begann. Als sie dann gegen Ende des Studiums eine Stelle in einem Spital anstrebte, fiel ihr plötzlich ein Inserat der Suva auf, in dem eine Physikerin gesucht wurde. „Die ausgeschriebene Aufgabe klang spannend und ich probierte es. Und zack, war ich in Luzern“, erzählt sie.
Die Sicherheitsingenieurin ist nun Teil des Teams Strahlenschutz und macht Betriebs- und Baustellenkontrollen. Die Suva ist die Aufsichtsbehörde für Betriebe mit radioaktiven Quellen oder Röntgengeräten. Das sind viele und ganz unterschiedliche Unternehmen, von der Bierbrauerei über Labors, Baustellen und das Militär bis hin zur Mikroelektronik und sehr fortgeschrittenen Erfindungen. Solche, die derart neu sind, dass Pedrazzi immer wieder unterschreiben muss, nichts nach aussen zu tragen und keine Fotos zu machen. „Da muss man sich auch gut überlegen, welche Gefährdungen es geben könnte und was man kontrollieren muss. Die Vorbereitung ist wichtig, manchmal mehr, manchmal weniger, aber immer wichtig“, sagt sie.

„Ich mag es, wenn ich eine Erklärung für etwas habe und jemandem helfen kann.“

Kontrolle und Beratung
Ihr gefällt diese Aufgabe, sie schätzt den Kontakt mit den Menschen, viel von der Wirtschaft zu sehen, verschiedene Strahlungs-Anwendungen zu erleben und selber laufend Neues lernen zu können. „Erstaunlicherweise werde ich immer gut aufgenommen“, sagt die 31-jährige. „Wenn es Probleme gibt, dann meistens mit Doktoren, Chemikern und Physikern, die sich auf einen Wissens-Wettbewerb einlassen wollen. Aber das sind keine Konflikte, nur Diskussionen. Die Betriebe sind meistens froh, dass sie zeigen können, was sie machen, dass sie die Gefahr sehen und sich verbessern können, dass man das kontrolliert und sie unterstützt. Ich sehe mich auch als Beraterin, wir suchen zusammen Lösungen. Aber natürlich ist es immer eine Kontrolle, wenn ich komme. Nach meinem Besuch ordne ich Massnahmen an, die dann auch getroffen werden müssen. Sonst kann ich sehr streng werden.“
Stets dabei ist ihr persönliches Dosimeter für den eigenen Schutz, das aber noch nie ausschlug. Hinzu kommen Geiger-Müller-Zähler, Kalibrierungsgeräte, Kontaminationsmonitore und Material für Proben, die dann im Labor in Luzern ausgewertet werden. Um ihre eigene Sicherheit macht sie sich selten Sorgen und wenn doch, hat das eher mit Laseranlagen zu tun. „Für Laser gibt es keine Melde- oder Bewilligungspflicht“, sagt sie. „Da habe ich manchmal schon Respekt. Ich würde mir wünschen, dass man andere Gefahren gleich ernst nimmt wie die Radioaktivität. In diesem Bereich sind wir sehr sensibilisiert und das ist auch richtig so. Laser- oder UV-Strahlung sind jedoch genauso gefährlich.“ Für sie selbst sei die grösste Gefahr allerdings bestimmt das Autofahren. „Schliesslich fahre ich jedes Jahr rund 25’000 Kilometer“, sagt sie.

„Was ich anordne, muss auch gemacht werden. Sonst kann ich sehr streng werden.“

Mentalitäten
Die Hälfte davon hat mit der Arbeit zu tun. Ihre Einsatzgebiete sind die Kantone Solothurn, Fribourg, Wallis und Waadt. Diese Regionen seien durchaus unterschiedlich. „Das kann gut und schlecht sein“, sagt sie. „Was die Einhaltung der Vorschriften angeht, sehe ich kaum Unterschiede. Aber die Mentalitäten sind anders. Werkstoffprüfer, beispielsweise, müssen immer zu zweit auf der Baustelle sein. In der Deutschschweiz würden wir sehr schnell darauf hingewiesen, wäre einer alleine an der Arbeit. In der Westschweiz würde das wahrscheinlich nicht passieren. Morgens um elf Uhr zu einem Glas Weisswein eingeladen zu werden, das kommt im französischsprachigen Teil des Kantons Fribourg häufig vor, im deutschsprachigen Teil nie – im deutschsprachigen Wallis aber schon.“ Pedrazzi geniesst es, dank ihren Reisen Orte zu sehen, an die sie sonst nie gekommen wäre. So entstand inzwischen eine Merkliste mit Reisezielen für Ferien oder einen Tagesausflug. „Das verdanke ich aber auch meinem Navigationsgerät. Das ist ein bisschen doof und führt mich hie und da auf komische Wege“, sagt sie.

Abschalten
Die andere Hälfte der 25’000 Kilometer sind privater Natur. Viele davon bringen sie zurück ins Tessin, zu ihrer Familie. Sie ist regelmässig dort und würde gerne noch mehr hin, vor allem zum Fischen in den Bergen. Das sei der beste Ausgleich zur Arbeit. „Ein schöner Alpensee, die Angel im Wasser, ein bisschen reden und die Natur geniessen, das gefällt mir. Fast seit meiner Geburt nahm mich mein Vater zum Fischen mit. Ob ich dabei etwas fange oder nicht, das ist sekundär. Das wichtigste ist das Ausruhen und einen schönen Tag in der Natur zu verbringen“, sagt sie.
Doch egal wie gut sie abschalten kann, der Kontrollblick bleibt auch, wenn Lisa Pedrazzi privat unterwegs ist. „Das stört mich aber nicht. Es geht schliesslich um die Gesundheit der Menschen“, sagt sie. Gedanken macht sie sich zum Beispiel über die UV-Strahlung, wenn sie im Hochsommer an einer Baustelle vorbei fährt und Mitarbeitende ohne T-Shirt an der prallen Sonne arbeiten sieht. „Ich halte dann aber nicht an, um etwas zu sagen“, sagt sie. „Manchmal wünschte ich mir mehr Mut dazu.“

Veröffentlicht im Suva-Mitarbeitermagazin “équipe” (Oktober 2015).

Zum Original-Beitrag:

 

 

 

 

 

 

 

Bild: Dominik Wunderli