Sicherheit betrifft alle Bereiche eines Unternehmens. Gibt es wie im Gastgewerbe sehr viele und unterschiedliche Sparten, macht das die Arbeit der Sicherheitsbeauftragten nicht gerade einfach.

Die Risiken in der Hotellerie und in der Gastronomie werden immer vielfältiger und reichen häufig weiter, als es ein erster Blick vermuten lässt. Werden all diese Sicherheitsaspekte zusammengefasst, spricht man von der ganzheitlichen Sicherheit. «Sie ist wie ein Puzzle, das zu einem einheitlichen Bild zusammengesetzt wird», sagt Paul Kaelin von der ecopoint GmbH. Mögliche Puzzleteile reichen vom Brandschutz, den Flucht- und Rettungswegen, dem Notfallplan und der Notfallorganisation über die Lebensmittelsicherheit, Hygiene, Arbeitssicherheit, Umwelt und Natur gefahren bis hin zum Einbruch- und Diebstahlschutz, zur Videoüberwachung, Zutrittsregelung, Wartung, Instandhaltung und zur IT-Sicherheit und dem Datenschutz.

Aller Anfang ist schwer
Der erste Arbeitstag von Sicherheitsbeauftragten (SiBe) in Hotel oder Restaurant beginnt deshalb meistens mit der Frage: Mit welchem Puzzleteil soll man bloss anfangen? Was ist das Wichtigste, was das Dringendste? «Häufig beginnen sie bei null», sagt Kaelin, «obwohl eigentlich schon vieles vorhanden wäre. Ich empfehle zuerst einmal eine Auslegeordnung. Man sollte sich fragen, was man schon alles tut und nicht, was man noch alles tun muss».
Danach führt kein Weg an einer Risikoanalyse vorbei. Der oder die SiBe geht durch den Betrieb und sammelt alle Eindrücke, Informationen und denk baren Risiken. Diese werden in einer Matrix zusam men gefasst, eingestuft und bewertet. Dafür braucht es etwas Zeit und vor allem Aufmerksamkeit, denn ein Fehler in dieser Phase zieht sich anschliessend durch das gesamte Sicherheitskonzept. Die Bewertung erfolgt immer nach dem Prinzip Eintretenswahrscheinlichkeit x Auswirkung = Risiko. Tritt ein Ereignis sehr selten ein, hat es eher nicht erste Priorität. Es sei denn, dessen Auswirkungen wären verheerend. Am Ende können etwa 30 bis 50 Risiken und daraus 5 bis 10 existenzielle Toprisiken definiert werden.

Massnahmen und Restrisiken
Je nachdem, wo die Risikoanalyse den dringendsten Bedarf sieht, gilt es dann, passende Massnahmen zu definieren und umzusetzen. «In der Gastronomie ist das Hauptrisiko meistens ein Liquiditätsengpass, also ein unternehmerisches Risiko», sagt der Unternehmensberater Uwe Müller-Gauss. «Aber jeder Betrieb unterschiedet sich von anderen. Mal kann es Diebstahl sein, vielleicht ist es sexuelle Belästigung, allenfalls die IT, eventuell sind es die Mitarbeitenden.»
Diese Risiken müssen entweder vermieden, vermindert, überwälzt oder selber getragen werden. Das Vermeiden ist schwer. In vielen Fällen würde das bedeuten, das Hotel zu schliessen. Vermindern lassen sich Gefahren vor allem über bauliche, technische oder organisatorische Massnahmen. Das Überwälzen bringt die Versicherungen ins Spiel, beispielsweise Gebäude-, Brand-, Diebstahl- oder Unfallversicherungen. Doch sowohl die Vermeidung als auch die Verminderung und Überwälzung hinterlassen noch immer ein Restrisiko, für das keine Massnahmen getroffen werden können und das der Betrieb selber trägt. «Man braucht eine klare Sicht der Risikolage», sagt Müller-Gauss. «Welchen Risiken begegnen wir aktiv und mit welchen Restrisiken leben wir?» Diese Fragen müssen laufend neu gestellt und beantwortet werden. «Häufig sind zwar Standards vorhanden, deren Wirksamkeit und Aktualität wird aber zu selten überprüft», sagt Kaelin. Er empfiehlt, dies mindestens jährlich zu tun. «Es ist ein Kreislauf, der ein Sicherheitskonzept stetig verbessert. Alle Ereignisse, auch solche in fremden Betrieben, sollten hinterfragt werden. Das erhöht den eigenen Standard kontinuierlich.» Am besten ist es, wenn die Sicherheit ein tägliches Thema ist. «Für mich ist das wie mit der Gurte im Auto», ergänzt Müller-Gauss. «Man zieht sie immer an.»

Unterstützung von innen und von aussen
SiBe sind häufig Allrounder, viele kommen aus einem technischen Bereich. Doch gibt es selten solche, die von A wie Arbeitssicherheit bis Z wie Zutrittskontrolle absolute Vollprofis sind. Also brauchen sie Unterstützung. Zum Beispiel jene der verschiedenen Fachbereichsleiter im Haus, mit denen sie schon während der Risikoanalyse zusammenarbeiten müssen. Diese kennen häufig ganz entscheidende Details und können Wege aufzeigen, die SiBe alleine gar nicht sehen können. «Je früher man sie einbezieht, desto besser sind danach die Massnahmen und deren Umsetzung», sagt Kaelin. Auch ein Auditbericht eines externen Beraters kann unterstützen, und sogar Versicherungen bieten Hilfe an. Sie haben ein Interesse daran, Risiken zu minimieren und Kosten zu vermeiden. Von den unterschiedlichsten Verbänden gibt es Hilfsmaterialien und Checklisten zu ihren jeweiligen Fachthemen. Der Verband hotelleriesuisse bietet Kurse an, stellt eine Branchenlösung zur Verfügung und hat Leitlinien und Leitfäden erarbeitet – auch einen zur ganzheitlichen Sicherheit, an dem Paul Kaelin mitwirkte.

Unterstützung von oben
«Schlussendlich steht und fällt jedoch alles mit der Geschäftsleitung», betont Kaelin. «Sie denkt häufig, im eigenen Betrieb könne nichts passieren. Das ist natürlich eine Fehleinschätzung. Eine, die immer zu Konflikten und Frust führen kann. Steht die Geschäftsleitung nicht hinter dem SiBe und seinen Vorschlägen, kommt er nicht weiter.» Natürlich geht es in der Chefetage primär um das Budget. Also gilt es abzuwägen, wie hoch die Sicherheit sein soll und wie teuer sie sein darf. Zu viel Sicherheit kostet zu viel und behindert unter Umständen die Gäste. Zu wenig Sicherheit ist ein zu hohes Risiko – was am Ende ebenfalls zu viel kostet, je nach Ereignis sogar die Existenz eines Unternehmens. Müller-Gauss weiss: «Der SiBe kann Vorarbeit leisten, doch die eigentliche Risikobewertung muss unbedingt gemeinsam mit der Geschäftsleitung stattfinden. Arbeiten sie zusammen, kann eine Sensibilisierung stattfinden und eine einheitliche Meinung über nötige Massnahmen entstehen.»

Die Klientel
Müller-Gauss vergleicht die Ausgangslage im Gastgewerbe mit jener in einem Flugzeug. An beiden Orten gibt es eine sehr heterogene Gruppe von Menschen: von Säuglingen bis zu alten und gebrechlichen Menschen, schlaue, weniger schlaue, nüchterne, angetrunkene, wache, schlafende, gestresste, erholte, handicapierte, Männer und Frauen. Es gibt solche, die Medikamente wie Schlafmittel zu sich genommen haben und es treffen unterschiedlichste Kulturen, Sprachen und Lebensgeschichten aufeinander. «So versammeln sich vielfältige und hohe Risiken», sagt Müller-Gauss. «In einem Flugzeug ist eine Sicherheitsinstruktion vor dem Abflug üblich. Erste Hotels tun dies nun auch während dem Check-in ihrer Gäste.» Das Dilemma in Gastbetrieben: Sie sind offene Häuser, in denen Menschen ein- und ausgehen und sich als Gäste fühlen möchten, sich aber dennoch einen sicheren Aufenthalt ohne unangenehme oder gefährliche Ereignisse wünschen. Und sie möchten ernst genommen werden, wenn sie sicherheitsrelevante Anliegen haben. Umso bedeutender sind diese Anliegen in bestimmten Kundensegmenten, beispielsweise in Luxushotels oder unter Gästen aus den USA oder aus Russland, die diesbezüglich sehr sensibilisiert sind. «In den USA haben die Hotels Angst vor Sammelklagen, die Sicherheit hat deshalb einen hohen Stellenwert», sagt Müller-Gauss. «In Schweizer Hotels steht es darum noch viel schlechter.»

Sicherheit als Verkaufsargument
«Es gibt in dieser Branche noch viel Potenzial», bestätigt Kaelin. Zwar sei sie in einzelnen Themen wie der Notfallorganisation oder der Lebens mittelsicherheit schon sehr weit. In anderen sei sie das jedoch noch weniger, zum Beispiel rund um die Videoüberwachung, die IT-Sicherheit, den Datenschutz oder den Unterhalt von Maschinen. Diese Aspekte gehören nicht zur Kernkompetenz eines Gastronomen und Hoteliers und werden häufig vernachlässigt. Aber auch sie werden immer wichtiger. «Ich vertrete heute mehr denn je den Standpunkt, dass Sicherheit ein Verkaufsargument ist», sagt Kaelin. «Deshalb sollte sie allen anderen Unternehmensbereichen unbedingt gleichgestellt sein.»

Veröffentlicht in der Fachzeitschrift „gastrofacts businessmagazin“ (November 2015).

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Bild: Tim Reckmann / pixelio.de