Wo auf dem Weg zwischen der analogen und digitalen Welt wir uns befinden und in welchen Schritten wir wohin steuern – Dr. Peter Staub, CEO der pom+Consulting AG, beantwortet unsere drängendsten Fragen zum Thema.
Die Immobilienwirtschaft zeichne sich bis jetzt vor allem durch Immobilität aus, wenn es um die Digitalisierung gehe, sagt Dr. Peter Staub. Man merke nicht, dass eine Revolution stattfände. Doch es seien schleichende Veränderungen, die bald grosse Konsequenzen haben würden. Aber welche, für wen, wann, und wie genau?
Sie outen sich als Fan der Digitalisierung. Der Sport zeigt uns, Fans erwarten manchmal zu viel zu schnell. Hand aufs Herz: wie schnell und wie intensiv wird die Digitalisierung tatsächlich Einzug halten?
Das ist eine Frage der Relationen. Was heisst schnell? Wir haben derzeit nicht wirklich das Gefühl, in einer Revolution zu stecken. Wir gehen arbeiten, alles läuft normal, am Abend gehen wir wieder nach Hause. Plötzlich gibt es vielleicht wieder einmal etwas Neues, eine App, ein Angebot, aber man nimmt die Bewegung nicht wahr. Doch blicken wir zurück, hat sich in den letzten zehn Jahren in der Arbeitswelt doch einiges verändert. Ich gehe davon aus, dass sich diese Entwicklung beschleunigen wird. Vielleicht nicht in allen Aspekten, die man heute propagiert. Aber gewissen Teile der Immobilienwirtschaft dürfte es relativ rasch an den Kragen gehen.
In welchen Bereichen erwarten Sie das besonders?
Im Bewirtschaftungssektor findet die grösste Entwicklung statt. Sowohl organisatorisch, als auch in der täglichen Praxis. Wenn wir heute eine Wohnung suchen, vereinbaren wir einen Termin, gehen die Wohnung anschauen, füllen ein Formular aus, schicken es ab. Diese ganze Kette kann digitalisiert werden. Natürlich braucht es dafür auch die entsprechenden Voraussetzungen. Man braucht Daten und die Datenlage in der Schweizer Immobilienwirtschaft ist teilweise tragisch. Da gibt es noch viel Aufholbedarf, damit das überhaupt so stattfinden kann.
Können Sie dafür ein Beispiel geben?
Als wir vor 20 Jahren unsere Firma gründeten, wollten wir den Informationsfluss vom Bauprozess zur Bewirtschaftung optimieren. Wir erkannten, dass es im Bauprozess sehr viele teils redundante Informationen gab, die im Übergang zur Bewirtschaftungsphase verloren gingen. Wir wollten diese Informationsmenge im Bauprozess reduzieren, in der Bewirtschaftung erhöhen. Das war die Idee unseres Forschungsprojektes. An dieser Problemstellung hat sich bis heute aber nichts verändert. Heute sprechen wir über das neue Thema BIM, dabei aber immer noch über die gleichen Themen wie damals. Für mich ist das ein Déjà-vu-Erlebnis. Um auf Ihre Anfangsfrage zurückzukommen: Ja, vielleicht erwarte ich doch zu viel zu schnell.
Es scheint auch genug Parteien zu geben, die diese Entwicklung bremsen möchten.
Das ist so. Der Immobilienwirtschaft gelingt es immer wieder, sich davonzuschleichen. Vielleicht auch, weil es eine sehr fragmentierte Branche ist. Es gibt die Bauwirtschaft, die Immobilienleute, die Eigentümer, grosse und kleine Planungsbüros, und alle schauen für sich und es gibt keinen politischen Interessenvertreter dieser Wirtschaft. Ein kleines Planungsbüro hat natürlich auch Mühe, so etwas einzuführen. Es kostet etwas, man muss investieren, verändern, sich Wissen aneignen, sich bewegen. Je nach dem ist man zu wenig innovativ oder der Kostendruck ist zu hoch. Das ist verständlich. Viele Anbieter müssen laufend ihre Preise drücken und dann noch etwas zu investieren geht oft nicht.
Wie lässt sich das durchbrechen?
Gute Frage. Gewisse Unternehmungen werden den Sprung selber wohl nicht schaffen. Ich gehe nicht davon aus, dass alle, die Chancen und Potenzial erkennen, diesen Weg auch gehen werden. Neue Unternehmen werden entstehen, die Schub und Veränderungen bringen, das Geschäft und den Markt konsequent und komplett verändern. Dann kommen die anderen unter Druck: entweder folgen sie der Entwicklung oder sie sind weg vom Fenster.
Wo steht die Immobilienbranche in Sachen Digitalisierung, verglichen mit anderen Branchen?
Bis jetzt zeichnet sie sich durch Immobilität aus. In Rankings belegt sie immer einen der hinteren Ränge. Es ist eine sehr grosse Branche, die verändert sich natürlich nicht allzu schnell. Aber auch die Banken meinten lange, sie seien sicher und stehen heute massiv unter Druck. Oder der Handel, wo inzwischen auch der letzte Anbieter merkte, dass E-Commerce-Lösungen grosse Veränderungen bringen. Shopping-Center haben riesige Probleme. In zehn Jahren werden sie ganz anders aussehen. Wer mitten in einem Prozess steht, erkennt das weniger. Es sind schleichende Veränderungen, die aber grosse Konsequenzen haben werden.
Welche Berufsbilder werden durch die Digitalisierung wie schnell verschwinden?
Sie werden nicht gerade verschwinden, aber starken Veränderungen ausgesetzt sein. Je nach Technologie sind die verschiedenen Bereiche unserer Branche unterschiedlich betroffen. Ein Bereich, in dem alle aktuellen Technologien Potenzial haben, ist die Instandhaltung. Und wie erwähnt sehe ich grosses Potenzial in der Bewirtschaftung. Alles, was mit automatisierbaren Informationsflüssen zu tun hat, also die ganzen administrativen Tätigkeiten, diese Berufsbilder gibt es in zehn Jahren nicht mehr so, wie wir sie heute kennen. Die Bauherren-Rolle wird sich wohl eher weniger schnell verändern, dort läuft vieles immer noch sehr mechanisch ab – obwohl auch auf dem Bau autonome Systeme, Robotik, sich selbst zusammensetzende Systeme und ähnliche Themen kommen werden. Bald arbeiten Roboter auch auf einer Baustelle und werden verschiedene Aufgaben besser erledigen können als der Mensch. Aber ich erwarte nicht, dass ganze Häuser mit Drohnen und Robotern gebaut werden.
Wie kann man die Arbeitnehmenden so schnell auf das neue Niveau heben? Sind da vor allem Unternehmen, Hochschulen oder gar die Politik in der Pflicht?
Die Politik muss ihre Hausaufgaben bezüglich der gesetzlichen Grundlagen lösen, zum Beispiel die Frage beantworten, wer die Datenhoheit hat und wer welche Daten verwenden darf. Doch in Sachen Bildung braucht es rasch entsprechende Lehrgänge, die zumindest konzeptionelle Grundlagen geben. Auch Berufsverbände müssen sich rasch in diese Richtung bewegen. Sonst passiert nichts.
Was sind die Gefahren dieser Entwicklungen?
Die Entwicklung wird die Schere noch weiter öffnen. Sie wird dazu führen, dass es höherwertige Berufsbilder geben wird. Gewisse Routinearbeiten werden Roboter erledigen. Wie weit das dazu führt, dass ganze Berufsbilder wegfallen und die Arbeitslosigkeit steigt oder einfach neue Berufsbilder entstehen, das ist schwierig zu sagen. Blickt man zurück und erinnert sich an die vielen Sekretärinnen in Banken, die Reihe an Reihe die ganzen Arbeitstage lang nichts Anderes taten als zu tippen, kann man sich das heute fast nicht mehr vorstellen. Aber diese Menschen gibt es immer noch, sie machen einfach etwas Anderes. Es gibt wohl nicht den krassen Bruch.
Unterscheidet sich die Schweiz in dieser Frage von anderen Ländern?
Ich war kürzlich in den USA. Am Zoll gibt es einen Mitarbeitenden, der ein Kärtchen abstempelt, das ein anderer 20 Meter weiter wieder einzieht. Das ist eigentlich völlig unsinnig. Aber wenn solche Prozesse alle digitalisiert werden, haben diese Menschen keinen Job mehr. Da gibt es krasse Szenarien und hier kommt das Thema Menschlichkeit ins Spiel. Was bringt es, wenn ein Roboter mein Büro reinigt, während zehn Menschen nebenan stehen, die froh wären, sie könnten hier reinigen? Was bedeutet diese flächendeckende Automatisierung in Ländern mit heute schon sehr hohen Arbeitslosenquoten, vor allem unter den jungen Menschen? Haben diese überhaupt einen Anreiz, Prozesse so zu optimieren? Das kann sehr gefährlich werden, weil es die heute schon angespannte Situation noch verschärft. Wenn sie es aber nicht tun, fallen sie noch mehr zurück. Dann gibt es hochentwickelte Hightech-Länder auf der einen Seite und eine analoge Welt auf der anderen Seite, die komplett hinterherhinkt.
Haben Sie ein Smart Home?
Nein, mein Haus ist fast hundert Jahre alt, da ist das etwas schwieriger. Die Wände sind dick, ich habe schon Mühe mit dem WLAN-Signal. Von der Innensteuerung und ähnlichem bin ich ohnehin nicht wahnsinnig Fan. Wenn alles zu einem Display wird, Tisch, Wände und mehr, das fände ich vielleicht interessant. Auch rund um die Sicherheit und die Überwachung gibt es nützliche Anwendungen. Aber die ganzen Steuerteile zu Hause, die will ich nicht. Ich will gar nicht auf meinem Handy das Licht und die Stereoanlagen bedienen. Es muss auch keine Musik laufen, wenn ich nach Hause komme. Manchmal will ich kein Licht, manchmal andere Musik, manchmal Kaffee, manchmal auch nur Tee, manchmal stehe ich früher auf, manchmal später. Und ich will das Handy nicht immer auf mir tragen. Ich glaube nicht, dass sich das durchsetzt.
Ist das nicht nur eine Generationenfrage?
Kann sein, dass die nächste Generation das cool findet. Ich möchte es nicht. Es gibt viele positive Effekte, aber dass mir die Digitalisierung meine Selbstbestimmung nimmt, daran glaube ich nicht und das möchte ich auch nicht. Es scheint mir hier auch einige Pendelbewegungen zu geben. Schauen wir uns einmal den Prime Tower in Zürich an. Unten gibt es ein gemütliches Café mit farbigen Lämpchen, das einen starken Kontrast zum Turm bietet. Der Mensch tendiert dazu, den kubischen, modernen Stil mit einer Prise Kuscheleffekt anzureichen. Wir haben einerseits die Vorteile der Digitalisierung, andererseits aber auch das menschliche Bedürfnis nach Wärme. Beides läuft parallel und auch die menschliche Komponente entwickelt sich.
Was sollten Unternehmen heute tun, um sich für die Digitalisierung fit zu machen?
Sich überlegen, welches Potenzial sie haben. Potenzial aus der Digitalisierung ergibt sich für eine Organisation aus der Möglichkeit zur Entwicklung neuer Produkte oder Leistungen oder zur Effizienzsteigerung der eigenen Prozesse. Eigentlich muss man sich fragen: Wie würde ich mein eigenes Geschäft zerstören durch die Digitalisierung? Sonst machen es andere. Das heisst, man muss den Markt beobachten und spannende Entwicklungen kennen. Gute Lösungen müssen dabei nicht zwingend grosse Investitionen voraussetzen. Man sollte also nicht lange Konzepte entwickeln, sondern rasch etwas umsetzen und passende Lösungen pilotierend testen. Das braucht Mut, aber ich bin überzeugt, wer hier einen Effort leistet und offen ist für Neues, der kommt auch weiter.
Was sollten Arbeitnehmende heute tun, um sich für die Digitalisierung fit zu machen?
Eigentlich gilt das gleiche: sich überlegen, welche Möglichkeiten man hat, auch um sich weiterzubilden. Vielen ist es wohl, sie haben einen schönen Job, die Freizeit ist ihnen wichtig. Das reicht halt nicht immer. Aber das war eigentlich immer so, man musste stets schauen was läuft und wie man fit bleibt. Panik ist keine angesagt. Wir rennen noch nicht hinterher, der Zug ist erst am Anfahren und es ist eine gute Chance, einzusteigen und mitzureisen.
Veröffentlicht in der Fachzeitschrift „fmpro service“ (Juli 2016).
Bild: Stefan Kühnis
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