Wer bei der Firma s: stebler arbeitet, soll gut schlafen können. Also sagte sich Markus Portner: reden wir darüber!
«Wer sagt schon, er sei müde», wirft Markus Portner ein. «Das ist leider so. Ich sage allen Mitarbeitenden, wenn man müde ist, sollte man besser eine Pause machen. Aber heute will man immer präsent sein. Zu sagen, man sei müde, damit deklassiert man sich.»
Portner ist für das Qualitätsmanagement der Firma s: stebler in Oensingen verantwortlich. Er selber schläft gut, auch wenn ihn seine Kinder nachts manchmal wachhalten und auch wenn er sich manchmal so verhält, dass der Schlaf darunter leiden könnte: ein Kaffee am Abend, fernsehen, Termine checken oder etwas auf dem Handy erledigen vor dem Zubettgehen. «Es war für mich eindrücklich zu merken, dass die Kollegen gleich ticken und die gleichen Problemchen haben», sagt er. «Man weiss, dass diese Dinge nicht gut sind, aber dass sie grosse Auswirkungen haben können, das denkt man sich nicht unbedingt. Diese Gemeinsamkeiten kann man nur erkennen, wenn man darüber redet. Dann kann man sich bewusster damit befassen.»
Schlafmangel ist gefährlich
Tatsächlich sind die Auswirkungen von zu wenig oder zu schlechtem Schlaf sehr gross. 30 Prozent der Arbeitnehmenden in der Schweiz sind von Schlafproblemen betroffen. Das führt nicht nur zu Erschöpfung sowie seelischen und körperlichen Krankheiten – diese Menschen sind auch weniger leistungsfähig und vor allem viel stärker unfallgefährdet. Die Suva konnte in einer Studie untermauern, dass bei jedem fünften Berufsunfall Schlafprobleme eine Rolle spielten. «Das sind rund 53 000 Berufsunfälle pro Jahr, die Kosten von schätzungsweise 283 Millionen Schweizer Franken verursachen», sagt Urs Näpflin, Fachgruppe Beratung Präventionsangebote der Suva. «Hinzu kommen Freizeitunfälle aufgrund von Schlafproblemen, die weitere 512 Millionen Franken kosten. Oft sind das Sturz- und Stolperunfälle oder Verletzungen mit Maschinen und Werkzeugen. Besonders gefährdet sind dabei Schlechtschläfer, die älter sind als 30 Jahre, pro Nacht weniger als sieben Stunden schlafen und pro Woche mehr als 50 Stunden arbeiten.»
Leistungsdruck und Unfallgefährdung
Die Firma s: stebler ist an einen Gesamtarbeitsvertrag angebunden, man arbeitet dort acht Stunden am Tag, in der Werkstatt von sieben Uhr morgens bis vier Uhr nachmittags, mit den regulären Pausen. «Das ist straff organisiert und das haben wir im Griff», sagt Markus Portner. «Den Aussendienst haben wir nicht im Griff. Zwar rapportieren diese Mitarbeitenden ihre Stunden, aber wenn sie Gas geben, sind sie omnipräsent und arbeiten überall. Sie checken ihre E-Mails auch über Mittag im Auto und abends zu Hause und wenn sie nicht einschlafen können, schreiben sie noch eine Offerte. Zwar kennen auch Werkstatt-Mitarbeitende diesen Leistungsdruck, aber das Zeitmanagement ist ein anderes. Ich denke deshalb, Verkäufer sind viel stärker gefährdet.»
Für das Unternehmen seien Schlafprobleme natürlich auch ein Thema hinsichtlich der Leistungsfähigkeit, aber noch viel mehr hinsichtlich der Unfallgefährdung. «Wir haben grosse Maschinen, da sollte man nicht unachtsam sein», sagt Portner. «Analysiert man die Beinahe-Unfälle, erkennt man jedoch häufig, dass Unachtsamkeit die Ursache war. Nun stellt sich die Frage: waren diese Mitarbeitenden zu routiniert, standen sie unter Druck, hatten sie einfach einen schlechten Tag, waren sie abgelenkt oder waren sie allenfalls tatsächlich zu müde? Das zu erkennen ist schwierig.»
Massgeschneiderter Schlafworkshop
Für Markus Portner kam das Angebot der Suva, einen Schlafworkshop durchzuführen, deshalb sehr gelegen. Der Workshop ist eines von verschiedenen Präventionsmodulen der Suva und kann auf jedes Unternehmen, jede Berufsgruppe und jede Ausgangslage massgeschneidert werden. «Wir sind ein Unfallversicherer, also geht es vor allem um das Thema Sicherheit», sagt Urs Näpflin. «Rund um den Schlaf ist die Gesundheit jedoch genauso wichtig: Schlafprobleme sind Frühindikatoren für Stress- und Burnout-Fragen und ähnliche Probleme. Sicherheit und Gesundheit gehen im Schlafworkshop also Hand in Hand. Ausserdem versuchen wir auf Aussendienstmitarbeitende und Pendler einzugehen, die häufig auf der Strasse unterwegs sind. Fahren sie müde, steigt das Unfallrisiko massiv. Und wir wollen auch Lernende ansprechen. Junge Menschen brauchen genügend Schlaf, einerseits körperlich, andererseits um aufnahmefähig zu sein und die Lerninhalte ihrer Lehrzeit zu verarbeiten.»
Hinterfragen und anpassen
Bei der Firma s: stebler wurden letztlich zwei verschiedene Workshops durchgeführt: ein einstündiger für die Mitarbeitenden der Werkstatt, ein zweistündiger für Büro- und Aussendienst-Mitarbeitende. In beiden Workshops ging es inhaltlich um die gleichen Aspekte, nämlich um Schlafprobleme und um die richtige Schlafhygiene – also um Verhaltensweisen, die in 80 Prozent der Fälle zu einem besseren Schlaf führen können. Ausser den zwei Mitarbeitenden, die gerade in den Ferien waren, nahmen alle an den Workshops teil. Egal welche Termine sie hatten, das Thema Schlaf ging an jenem Tag schlicht vor. Das war Markus Portner wichtig. «Wir hoffen, dass sich jeder einzelne hinterfragt», sagt er. Doch damit sei es natürlich noch nicht getan. «Wir müssen stetig sensibilisieren, Rückmeldungen einholen und allenfalls als Arbeitgeber einige Anpassungen machen: Gleitende Arbeitszeiten vielleicht, oder einen grösseren Ruheraum mit Liegen für den Mittagsschlaf einrichten. Vielleicht wollen die Mitarbeitenden vermehrt an die frische Luft, soziale Kontakte pflegen, Radio hören – wir möchten wissen, was sie brauchen und was davon wir ihnen geben können. Und das langfristige Ziel ist klar: wir möchten die Zahl der Arbeitsunfälle auf einem sehr tiefen Stand halten. Doch das alles können wir nur erreichen, wenn wir darüber reden.»
Bild: Michelle Oberholzer (www.michelleoberholzer.ch)
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