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In Sachen Energie müsse man nicht bloss über den Verbrauch und die Effizienz eines Gebäudes sprechen, sondern vermehrt auch über die Energieproduktion und über intelligente Systeme. Das sagt Jürg Grossen, Nationalrat und Präsident der Grünliberalen Partei Schweiz.

Jürg Grossen bringt sein Wissen rund um Energie-Themen in einen politisch machbaren und gesellschaftlich sowie technologisch umsetzbaren Rahmen. Wir sprachen mit ihm natürlich vor allem über die Gebäudehüllen – aber nicht nur.

Wo an der Gebäudehülle liegen die grössten Potenziale für mehr Energie-Effizienz?

An der Gebäudehülle ist schon viel geschehen. Aber noch wird der Faktor Intelligenz vernachlässigt, vor allem rund um die Energieproduktion und die Beschattung. Die passive Wärmenutzung im Winter und wirksame Beschattungen im Sommer werden kaum optimal realisiert. Das ist meistens auf mangelhaft konfigurierte Steuerungen zurückzuführen. Blanke Energieverschwendung dominiert im Schweizer Gebäudepark immer noch anstelle von intelligenten Lösungen.

Woran liegt das?

Es gibt viele Gründe. Einer davon: Fachplaner und Ingenieure sind seit vielen Jahren vollbeschäftigt haben keinen Druck, etwas zu verändern und besser zu werden. Die Technologien wären nämlich längt vorhanden. Wenn jedoch die Bestellerkompetenz erhöht würde und die Auftraggeber das einfordern würden, was heute möglich ist, hätte das eine grosse Wirkung. Dann müssten die Architekten, Planer und Gebäudetechniker handeln und es könnte bei höherem Komfort gleichzeitig viel Energie gespart werden.

Kann ein politischer Druck helfen?

Der sinnvollste politische Druck wäre die Einführung einer Lenkungsabgabe auf nichterneuerbare Energien. Bis zu einem gewissen Punkt gibt es das mit der CO2-Abgabe auf Brennstoff. Damit sollte man weiterfahren. Die Teilzweckbindung funktioniert einigermassen, aus ökonomischer Sicht ist sie eigentlich falsch und leider machen nicht alle Kantone mit einem Gebäudeprogramm mit, das den Namen verdient. Wäre die CO2-Abgabe zum Beispiel doppelt so hoch und hätten alle Kantone ein gutes Gebäudeprogramm, würde das viel bringen.

Wo stehen wir denn in Sachen Energieeffizienz?

Das Gebäude ist der einzige Bereich, in dem wir hinsichtlich der Klimaziele von Paris einigermassen auf Kurs sind. Wir sollten aber nicht nur über den Verbrauch und die Effizienz eines Gebäudes sprechen, sondern auch über die Energieproduktion: Jede Fläche, die sich für die Stromproduktion eignet, sollte dafür genutzt werden. Jedes Gebäude muss ein Kraftwerk werden, sonst werden wir die Energiestrategie 2050 und die Klimaziele von Paris nicht einhalten. Die Materialwahl der Zukunft entscheidet sich danach, wie viel Strom man damit produzieren kann. Überall dort, wo es sich eignet, muss das Dach und die Fassade photovoltaisch sein.

Wie geht es mit dem Zusammenschluss zum Eigenverbrauch voran?

Diese neue Lösung funktioniert sehr gut. Das Bundesamt für Energie nennt sie als grössten Treiber für die Umsetzung der Energiestrategie. Bei Neubauten ist damit ein grosser Anreiz vorhanden, selbst Strom zu produzieren und vor Ort zu verbrauchen – weil es wirtschaftlich interessant ist. Beim Gebäudebestand fehlen jedoch die Anreize noch, daran arbeiten wir derzeit. Es braucht dafür einige Deregulierungen beim Messwesen und die konsequente Nutzung der heutigen digitalen Möglichkeiten.

Wie sieht die Energieeffizienz in Ihrem eigenen Büro- und Wohngebäude aus?

Es ist ein über zwanzig jähriges Gebäude. Trotzdem verbrauchen wir gegenüber einem vergleichbaren Gebäude nur noch 18 Prozent Strom und 25 Prozent Wärmeenergie und wir haben 90 Prozent Beleuchtungsenergie gespart. Bei uns ist alles intelligent und digital aufgebaut und mit dem PC und dem Handy steuerbar. Die intelligente Steuerung mit Rollos ermöglicht eine maximale passive Wärmenutzung. Eine gute Wärmedämmung ist wichtig und an der Nordfassade haben wir das auch gemacht. Aber mit der intelligenten KNX-Steuerung kann man sehr viel mehr erreichen, das haben wir ausgenutzt. Unser Gebäude ist bereits seit acht Jahren das erwähnte Kraftwerk. Es produziert heute doppelt so viel Strom wie wir verbrauchen. Den Überschuss nutzen wir für die Elektromobilität und speisen den Rest ins Netz.

Wird die künstliche Intelligenz solche Fragen bald für uns erledigen?

Neben den gesunkenen Preisen für Photovoltaikpanels – die innert zehn Jahren um das zehnfache sanken – ist die Digitalisierung der grösste Megatrend und aus meiner Sicht die Lösung für die Zukunft. Auch könnten wir heute schon selbstlernende Systeme realisieren, die Technologie ist bereit. Doch wenn Anlagen und Geräte mit dem Stromnetz kommunizieren sollen, braucht es anerkannte Kommunikations-Standards. Daran arbeiten wir aktuell in einem neuen Verein am Label «Smartgridready». Es ist klar, in Zukunft wird sehr viel automatisiert. Das wird spannend, aber der Weg dorthin ist noch sehr weit. Rund um das Stromnetz ist die Situation stark überreguliert, das bremst diese Entwicklung leider etwas ab.

Sie sagten einst zu Vertretern der Gebäudehülle-Branche, sie seinen Energiepioniere. Wie meinten Sie das?

Wer Flächen und Systeme baut, die eine Stromproduktion, Energieeffizienz und passive Wärmenutzung ermöglichen, sollte Energiepionier sein und ist es auch. Wer bereit ist, sich zu öffnen und die neuen Möglichkeiten umzusetzen, wird nicht weniger verdienen, sondern mehr. Man wird nur andere Materialien und Technologien verwenden. Wer nicht offen dafür ist, wird früher oder später überholt. Die Bestellerkompetenz nimmt stetig zu und irgendwann will niemand mehr Dachziegel und unproduktive Beton-, Blech- oder Glasfassaden im grossen Stil.

Wie sieht die Energie- und Mobilitätszukunft aus Ihrer Sicht aus?

Mittel- und längerfristig ist das Energiesystem erneuerbar, dezentral, digital und sicher. Das betrifft die Mobilität genauso. Die Elektromobilität wird wohl die dezentrale Stromproduktion am stärksten fördern, weil fast alle, die ein Elektroauto fahren, dieses möglichst mit eigenem Strom «betanken» wollen. Schon in drei Jahren sollen 15 Prozent der Neuwagen-Zulassungen Elektroautos sein. Aber auch in dieser Frage sind viele Planer und Architekten im Tiefschlaf: wo sind die Ladestationen in den Einstellhallen und wie werden diese gesteuert? Ein Elektroplaner, der das heute noch nicht vorausschauend plant, ist kein guter Elektroplaner.

 

Zur Person

Jürg Grossen ist Co-Geschäftsleiter der Elektroplan Buchs & Grossen AG, die nachhaltige und wirtschaftliche Gebäudetechnik und Elektroinstallationen plant. Ausserdem ist er Mitinhaber der Elektrolink AG, sie ist spezialisiert auf Gebäudeautomation, Programmierung und Visualisierung elektrotechnischer Geräte und Apparate, sowie der Smart Energy Link AG, die eine smarte Gebäudesteuerung zur Optimierung des Eigenverbrauches von Solarstrom für Mehrparteiengebäude anbietet.

Politisch ist Jürg Grossen als Nationalrat und Präsident der Grünliberalen Partei Schweiz (GLP) aktiv. Er ist in verschiedenen Verbänden und Organisationen rund um Energie-, Gebäude- und Mobilitätsfragen als Präsident oder Vorstandsmitglied tätig.

Infos: www.juerg-grossen.ch

 

Veröffentlicht in der Fachzeitschrift „Gebäudehülle Schweiz“ (Sommer 2019).