Bild: zVg –
218 Einwohner, 492 Kühe. Ungefähr das ist Kulmerau. Das Dörfchen ob Triengen im Kanton Luzern präsentiert sich so malerisch wie man sich die ursprüngliche, urchige Schweiz vorstellt. «Urchig» ist und heisst auch ein Event-Gasthof, der mitten in Kulmerau steht.
Der Bezug zum Traditionellen und zum Regionalen ist hier allgegenwärtig. Das typische alte Landgasthof-Gebäude ist liebevoll eingerichtet, mit allerlei Schätzen aus der urschweizerischen Vergangenheit. In Trachten bewirten Robi Gander und seine Frau Brigitte ihre Gäste. Auch die Rezepte und Zutaten sind traditionell und aus der Umgebung. «Der regionale Aspekt ist uns sehr wichtig und wir ziehen das durch», sagt Robi Gander. Vor einem Anlass geht er morgens zu den verschiedenen Partnern und Lieferanten. «Heute war ich in der Metzgerei, organisierte Speckwürfeli und Ghackets. Man redet miteinander, vernimmt dies und das und der Metzger gab mir eine Schwingerwurst, direkt aus dem heissen Wasser. Dieser Austausch und diese Beziehungen sind uns wichtig und schon hier beginnt das Regionale. Dann kaufte ich das Gemüse, ging zum Bäcker in Triengen, holte beim Nachbarn Milch. Das Obst ist aus dem Dorf, von einem jungen Obstbauern. Die Eier sind vom Nachbarn, die Kartoffeln aus dem Nachbardorf, alles im Umkreis von fünf bis sechs Kilometern.» Am weitesten her kommt der Wein. Da ist Brigitte Gander die Chefin und geht dafür auch etwas weiter in die Nachbarschaft. Aber es sind ausschliesslich Schweizer Weine. Der nächste kommt aus Sursee, vom Weinbau Mariazell, der weiteste ist wohl ein Syrah aus dem Wallis.
Qualität statt Label
Convenient-Produkte gibt es im Urchig nicht. «Das ist natürlich etwas aufwändiger und kostenintensiver, aber das zahlt sich aus», ist Robi Gander überzeugt. Und bei aller Nachbarschaft und Regionalität, die Qualität sei mindestens so entscheidend wie die Nähe. «Wir sagen auch, wenn etwas nicht gut ist», sagt Robi Gander. «Manche haben das Gefühl, wir nähmen ihnen die Produkte sowieso ab, nur weil sie vom Nachbarn kommen. Aber wir sind durchaus wählerisch. Es geht letztlich immer um die Qualität und darum, noch besser zu werden.»
Wenn man die Lieferanten und ihre Arbeitsweise kennt, wird ein Label dafür weniger wichtig. Der Kartoffelbauer ist ein junger Bauer, mit Leib und Seele, und setzt auf integrierte Tierhaltung. «Wir probierten einige Kartoffeln von verschiedenen Bauern aus, seine schmeckten uns am besten», sagt Robi Gander. «Auch stimmt die Chemie zwischen uns und wir finden immer Zeit für einen Schwatz. Die Eier, die sind auch nicht von einem Biobauern, aber die Hühner sind immer draussen, wir sehen und hören sie und den Güggel. Die Haltung stimmt, die Produkte sind hervorragend. Darauf kommt es an und das spürt man.»
Erleben statt nur Essen
Die Gäste im Urchig, die sind manchmal weniger regional. Obwohl es auch das gibt. Bei unserem Besuch ist für den Nachmittag eine Gruppe junger Frauen aus der Region für einen Polternachmittag angemeldet, am Abend eine Gruppe amerikanischer Studenten. Das Urchig liegt an keiner Hauptstrasse. Per Zufall findet es kaum jemand. Man muss die Leute holen. Und dank dem grossen Netzwerk der beiden Gastgeber und dem guten Ruf des Urchig kommen sie auch. «Viele Firmen kommen her, auch internationale, und die Studenten heute Abend sind auf einer Sprachreise. Sie alle suchen und finden bei uns das typisch Schweizerische», sagt Robi Gander. «Wir führen die Anlässe ab zehn Gästen durch, bis maximal 100, im Sommer auch bis 130.»
Die beiden Handörgeler Alfred und René empfangen die Gäste mit ihrer Musik, dazu gibt es Quellwasser aus der nahen Quelle und Apfelmost und ein Schnäpschen vom Obstbauern im Dorf. Zuerst wird gebuttert im Glas und gekäst in einem Kupferkessel über offenem Feuer, mit der Milch vom Nachbarn. Dabei ist Robi Gander in einem seiner Elemente. Er lernte Käser und verbrachte einige Sommer seines Lebens auf der Alp. Während er mit seinen Gästen buttert und einen Frischkäse zubereitet, kann er sehr vieles dazu erzählen. Im Event-Gasthof erlebt man also nicht nur etwas, hier lernt man auch jede Menge.
An der Älplerchilbli bieten sich die unterschiedlichsten urchigen Vergnügungsmöglichkeiten. Auf der Suche nach der Nadel im Heuhaufen gilt es einen typisch schweizerischen Gegenstand im Heu zu ertasten. Kegeln auf einer Holzbahn, ein Foto verkleidet als Sennen im Tenn, Nageln mit etwas ungewöhnlichen Hämmern, die Sennenwand, Fahnen schwingen, Alphornblasen, all das sind mögliche Attraktionen an der Älplerchilbi. Dazu begleiten die beiden Handörgeler die Gäste und je länger die Älplerchilbli dauert, desto ausgelassener singen, jauchzen, jodeln und musizieren die Gäste mit den beiden mit.
Zu Tisch
Den selbstgemachten Anken bereitet Brigitte Gander inzwischen mit Salz und verschiedenen Kräutern aus dem eigenen Kräutergarten hinter dem Haus für die Vorspeise vor. Den soeben gekästen Frischkäse garniert sie mit Öl, Salz, Pfeffer und mit Kräutern und essbaren Blumen als Apéro-Häppchen. Im Kräutergarten wachsen verschiedene Minzearten für das Quellwasser, Rosmarin, Thymian, Majoran und Oregano für den Anken. Den Salat verfeinert sie mit Sauerampfer, Ruccola, Peterli, Schnittlauch, Kerbel und essbaren Blüten. Im Moment wachsen Borretsch, Kapuzinerkresse, Ringelblumen, Ysop, Veilchen, Löwenzahn oder Gänseblümchen für die Dekoration. «Was im Garten wächst, nehmen wir ins Menü auf», sagt Brigitte Gander. «Viele Gäste machen zuerst ein Foto, bevor sie essen, das ist ein gutes Zeichen. Und natürlich sind diese Kräuter und Blüten nicht nur schön für das Auge, sie sind auch gesund.»
Zur Vorspeise gibt es für die Polterinnen einen Feldsalat, im Nachbardorf gewachsen, mit einer hauseigenen Salatsauce. Die Hauptspeise: Älplermagronen mit eigener Käsemischung, die erwähnten Kartoffeln aus der Nachbargemeinde Krumbach und Apfelmus aus Äpfeln aus dem Dorf. Zum Dessert servieren die Ganders eine Schoggicrème nach einem Rezept von Robi Ganders Mutter und einen von Brigitte Gander gebackenen Kuchen. Die Studenten am Abend geniessen Ghackets mit Hörnli und Apfelmus, dazu ebenfalls Salat und Dessert. Als Alternativen gäbe es beispielsweise Rindsvoressen mit Kartoffelstock und Wurzelgemüse und rund um die Weihnachtszeit einen Hackbraten oder ähnliche festliche Menüs.
Saisonale Unterschiede
Alles wird frisch und immer am Tag des Anlasses verarbeitet. Natürlich wächst der Salat nicht im ganzen Jahr auf dem Feld. Auf solche saisonalen Unterschiede muss man sich vorbereiten, wenn man auf regionale Produkte setzen will. Im Winter ist das Menü anders, schwerer, gewichtiger. Die Kräuter aus dem Garten werden für den Winter getrocknet. Im Herbst werden 400 Kilogramm Apfelmus eingekocht und in Gläser sterilisiert, wie zu Grossmutters Zeiten. Und natürlich gibt es auch einmal Fondue. «Das machen wir erst neuerdings», sagt Robi Gander. «Ich sträubte mich lange dagegen. Aber manche, vor allem internationale Gäste, die wollen auch im Hochsommer ein Fondue.» Saisonal passen tut das nicht unbedingt. Obwohl, für ein gutes Fondue gibt es eigentlich keine unpassende Jahreszeit.
Wie kommt man nur darauf?
Robi Gander ist nicht einfach ein Käser von der Alp. Er hatte immer den Tourismus im Hinterkopf, bildete sich weiter, machte die Tourismusfachschule und arbeitete an verschiedenen Orten: als Schweizer Gardist während zwei Jahren in Rom. Ein Jahr in Genf. Ein Jahr in London in der Gastronomie. Von dort kehrte er nach Luzern zurück. Er machte ein Praktikum in einem Hotel, wechselte zu den Rigi-Bahnen, wo er während zehn Jahren im Marketing und Verkauf arbeitete und immer mehr in die Event-Branche rutschte. Zusammen mit zwei Freunden gründete er ein Unternehmen, das allerlei Firmenanlässe anbot: Bungee-Jumping, Canyoning und ähnliches. Später gründete er mit seiner Frau Brigitte die Firma GanderEvent. «Wir waren in der ganzen Schweiz unterwegs und haben während dieser Zeit viel gesehen und entdeckt», sagt er. «Mit diesen Eindrücken und Erlebnissen haben wir uns entschlossen, nochmals etwas Neues zu starten. Die Initiative kam von Brigitte. Wir suchten nach einem fixen Standort, um die Gastronomie und unsere Älplerchilbi zu verbinden. Kulmerau entdeckten wir per Zufall und fanden es sehr sympathisch.» So entstand eine Erfolgsgeschichte: Das Urchig ist nun im fünften Betriebsjahr.
Veröffentlicht im gastrofacts businessmagazin (Sommer 2019).
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