Die SanArena Rettungsschule lud Angehörige von Betriebssanitätsdiensten und ausgebildete Laienretter zu zwei Nothilfetagen ein. In spannenden und praxisnahen Workshops probten die Teilnehmer den Ernstfall.

Ein Schrei durchdringt die Stille. Er kam aus der Werkstatt. Fünf Menschen schauen sich bestürzt an und beginnen zu rennen. Sie hören eine Kreissäge. Sie sehen Blut. Ihnen bietet sich ein Bild des Grauens.

Glücklicherweise – in diesem Fall – ist alles nur Maskerade. Die Teilnehmer der Nothilfetage 2006 sind am Workshop Orange angelangt. Eine Frau wollte sich einen Tisch schreinern. Dabei zog es ihren Arm in die Kreissäge. Ein Fremdkörper verletzte das linke Auge. Eine riesige, offene Fleischwunde klafft am rechten Arm. Aus der Augenhöhle hängt der Augapfel. Sofort kümmern sich die Teilnehmer um sie, stoppen den Blutfluss am Arm, dekken die Augen mit kühlen Lappen ab. Sie rufen den Rettungsdienst.

Die Frau beruhigt sich ein bisschen. «Ich muss meine Kinder aus der Schule abholen,» sagt sie verstört. Eine Teilnehmerin kümmert sich psychologisch um die Frau, organisiert, dass die Schule angerufen wird und jemand auf die Kinder Acht gibt. Die anderen Teilnehmer treiben Verbandmaterial und Rettungsdecken auf. «Was machen wir mit dem Auge?» Durch diese Frage eines Helfers schreckt die Frau auf: «Was ist mit dem Auge? Was ist mit dem Auge?» Sofort erkennt der Teilnehmer seinen Fehler und versucht sie zu beruhigen. «Nicht so schlimm, das bringen wir schon wieder in Ordnung.»

Genaustens beobachtet wird die Szene von professionellen Rettern. Sie verfolgen die ganze Aktion der Ersthelfer und geben ihnen danach ein genaues Feedback. So lernen die Teilnehmer an Ort und Stelle, was sie während der schnellen Handlung richtig gemacht haben, was sie noch verbessern müssen. «Es hatte schon einige Schnitzer drin,» meint ein Experte, «einige haben die Handschuhe vergessen, obwohl diese vorhanden waren. Sie haben die Patientin gedutzt, das degradiert sie. Und sie haben die Umgebung nicht auf Gefahren geprüft», Trotzdem ist er zufrieden. «Gesamthaft betrachtet haben sie alle richtig reagiert.»

Die ganze Sparte

Bis professionelle Hilfe an einem Notfallort eintrifft, dauert es in der Regel rund 15 Minuten. In dieser Zeit sind es unbeteiligte Passanten, Arbeitskollegen oder Familienmitglieder, welche diese Viertelstunde möglichst wirkungsvoll nutzen müssen. Darum ist es wichtig, regelmässige praktische Übungen durchzuführen, um im Ernstfall optimal reagieren zu können. Je rund 70 Teilnehmer trafen sich deshalb an den beiden Durchführungstagen in Effretikon. Mehr als zehn Notfallsituationen wurden geübt. Die Veranstalter gestalteten die Workshops so realistisch und praxisnah wie möglich.

Am Weiher steht ein Mann kniehoch im Wasser und schreit. «Vreni, bleib hier, bleib hier, Vreni, bitte!» Die Teilnehmergruppe schreitet sofort ein. Wieder geht es darum, schnellstmöglich professionelle Hilfe anzufordern. Geistesgegenwärtig übernimmt dies die Teilnehmerin, die zuletzt bei der Ertrunkenen eintrifft. Noch auf dem Weg zückt sie ihr Handy und wählt die 144, erklärt detailliert wo sie welche Situation antraf.

Der Mann ist ausser sich, schreit und fleht. Gleich zwei Teilnehmer kümmern sich um ihn, versuchen, ihn zu beruhigen. Er will helfen, doch die Helfenden sagen ihm, sie hätten alles unter Kontrolle und er solle sich keine Sorgen machen.

Vreni ist eine Puppe. An ihr üben die Teilnehmer die Reanimation. Während des Ertrinkungsvorganges nimmt das Opfer viel Wasser auf und der Magen ist prallgefüllt. Deshalb ist bei der Herz-Lungen- Wiederbelebung besondere Vorsicht geboten. Wird der Druckpunkt falsch angesetzt, besteht eine hohe Gefahr des Übergebens und damit der Aspiration (Einatmen von Fremdkörpern, hier also von Erbrochenem). Ob es für Vreni zu einem Happy End kam, können wir nicht sagen. Vreni ist noch immer eine Puppe. Aber der Experte ist zufrieden mit dem Gesehenen.

Hinter dem Gebäude des Baumeister Kurszentrums in Effretikon liegt ein Mann am Boden und bewegt sich nicht. Neben ihm steht eine Leiter. Schnell wird den Teilnehmern klar: Der Mann stürzte von der Leiter. Leise wimmert er vor sich hin: «Aua, aua, aua!» Die Teilnehmer sprechen mit dem Verunfallten. «Wie heissen Sie? Haben Sie Schmerzen? Wo?» Er antwortet mit Verzögerung. «Mir ist kalt. Mein Rücken tut weh. Der Kopf auch.» Am Hinterkopf entdecken die Helfer eine Platzwunde.

Sie schauen sich um, sichern die Unfallstelle, legen die Leiter zur Seite, vom Opfer weg. Ein Teilnehmer hält fortlaufend den Kopf des Verunfallten fest, damit er sich nicht bewegt. Sie legen ihm einen Halskragen um. Dieser stabilisiert den Kopf. Eine einzige falsche Bewegung kann eine Lähmung beider Beine und Arme zur Folge haben, die vielleicht vermeidbar gewesen wäre. Die Helfer legen den Verletzten auf eine Vakuummatratze und bereiten eine Schaufelbahre vor. Sie sichern ihn, fixieren ihn mit Gurten. Inzwischen steht der Krankenwagen bereit. Die Helfer tragen das Opfer hinein und übergeben den Fall den Profis.

In den Workshops lernten die Teilnehmer ausserdem viel zu Kopfverletzungen, Unfällen mit elektrischem Strom, Epilepsie, Freizeitunfällen, Kinderunfällen und -notfällen sowie Herzinfarkte.

Den Abschluss dieses spannenden Tages bildete eine Grossübung, an welcher sich auch die Feuerwehr, die Polizei, der Rettungsdienst und sogar die Rega beteiligten. Ziel dieser Grossübung war die wirkungsvolle Zusammenarbeit zwischen Laien und Profis in Notfallsituationen.

Neue SRC-Richtlinien

Immer wieder kam es vor, dass einige Teilnehmer nicht auf dem aktuellsten Stand der Dinge waren. Was früher gelehrt wurde, ist heute oft widerlegt worden. Darum ist es wichtig, dass die Ersthelfer ihr Wissen fortlaufend auffrischen.

Dr. med. Urs Bühler vermittelte deshalb zu Beginn des Tages die neuesten Reanimationsrichtlinien. Diese wurden von der zuständigen medizinischen Fachorganisation – dem Schweizerischen Rat für Reanimation – kürzlich erlassen. Bei den Workshops wurde immer wieder auf den neuesten Wissenstand, auf geänderte Vorgehensweisen oder auf aktuelle Erkenntnisse hingewiesen. Die neuen Richtlinien sind auf der Seite 34 zusammengestellt.

Nothilfetage 2006

Die SanArena Notfhilfetage finden alle zwei Jahre statt und sind bei den Teilnehmenden sehr beliebt. Die praktischen Workshops und die Zusammenarbeit mit den professionellen Rettungsorganisationen erlauben ein wirksames Training in Erster Hilfe.

Zielgruppen sind Betriebssanitäter, Betriebsnothelfer, Feuerwehrsanitäter, Schwimmbad-Aufsicht, Samariter oder Mitarbeiter des betrieblichen Sicherheitsdienstes.

In diesem Jahr fanden die Nothilfetage im Baumeister Kurszentrum in Effretikon statt. Es beteiligten sich auch die professionellen Rettungseinheiten der Feuerwehr Effretikon, der Stadtpolizei Effretikon, des Rettungsdienstes Winterthur und der Rega.

Veröffentlicht in der Fachzeitschrift Safety-Plus (September 2006).