Der gemeinnützige Verein Cuisine sans frontières verfolgt mit seinen Projekten an unterschiedlichen Orten auf der Welt das Ziel, die Lebensumstände der lokalen Zivilbevölkerung nachhaltig zu verbessern. Um diese Projekte finanzieren zu können, hat sich der Verein etwas ganz Besonderes einfallen lassen.
Eine wohlriechende Duftwolke empfängt mich an diesem Donnerstagnachmittag, als ich vor der Aktionshalle der Roten Fabrik in Zürich ankomme. Ich folge meinem Riechorgan. Der Duft wird intensiver. Auf der Bühne herrscht emsiges Treiben, es dampft, zischt und klimpert. Zwei Kochteams stehen dort oben. Manche scheinen die Ruhe selbst zu sein, andere wirken etwas hektischer. Geredet wird nur das nötigste. Die beiden Teams sprechen sowieso nicht miteinander. Denn es ist Kitchen Battle.
Kitchen Battle
Der Kitchen Battle ist eine Benefizveranstaltung und wurde im Jahr 2008 erfunden, während einem Projekt in Kolumbien, als Tom Gfeller und Ivo Müller, beide Vorstandsmitglieder des Vereins Cuisine sans frontières, beide Köche mit eigenem Gastbetrieb, gegeneinander stichelten: Was du kannst, das kann ich schon lange. Aus dieser Stichelei wuchs eine Idee, die es in sich hatte. Die beiden dachten sich, man könnte wirklich einmal gegeneinander kochen. Ein Jahr später fand in der Roten Fabrik in Zürich ein Themenmonat rund um die Ernährung statt. Und in diesem Rahmen fand zum ersten Mal ein Kitchen Battle statt.
Die Idee brachte den Verein Cuisine sans frontières ein grosses Stück vorwärts. Zuvor organisierte er kleinere Benefizveranstaltungen, nun gab es eine deutlich grössere Einnahmequelle und die machte plötzlich vieles möglich. Der Kitchen Battle fand seither jedes Jahr statt und wurde immer grösser. Er expandierte von Zürich nach Bern, Basel und Luzern und ist jeweils fast so schnell ausverkauft wie die Konzerte der legendärsten Rockbands.
Das Ganze funktioniert so: Jeden Abend kochen zwei professionelle Kochteams bekannter Restaurants, von Haute Cuisine bis zur Szenebeiz, vor dem und für das Publikum. Heute Abend sind das 150 Gäste. Je unterschiedlicher die Küchen sind, desto spannender ist es zu sehen, was man alles aus den gleichen Zutaten kreieren kann. Ein solches Team besteht immer aus vier Menschen. Mindestens zwei von ihnen müssen tatsächlich aus dem jeweiligen Restaurant kommen, zwei andere können hinzugezogen werden – häufig wird ein Patissier dazu geholt. Beide Teams erhielten um 10 Uhr den genau gleichen Warenkorb. Er enthält 14 Zutaten, darunter Fisch, Fleisch, eines zum Schmoren, eines zum Kurzbraten, ein Milchprodukt, ein Trockenprodukt, manchmal Dörrfrüchte, Kaffee oder Cornflakes, dazu Gemüse und saisonale Früchte. Aus diesem Warenkorb mussten sie sich bis um 12 Uhr ein Vier-Gang-Menü ausdenken. Davon dürfen sie nun nicht mehr abweichen und sie müssen alle Zutaten aus dem Warenkorb verwenden. Sie müssen nicht alle Zutaten aufbrauchen, aber sie müssen alle ins Menü integrieren und dieses dann auch kochen. Egal was passiert, es gibt kein Zurück mehr. So richtig schief ging noch nie etwas, nur einmal, da brannten einem Team die Linsen an.
Sozialen Zusammenhalt schaffen
Der Kitchen Battle repräsentiert genau das, was der Verein Cuisine sans frontières in seinen Projekten bewirken will: dass gemeinsames Essen einen sozialen Zusammenhalt schafft. Diese Idee trieb den Gründer David Höner damals an, den Verein ins Leben zu rufen. «Ich war Koch und arbeitete als Journalist», erzählt er. «Im Jahr 2003, ich lebte bereits seit zehn Jahren in Ecuador, las ich einen Bericht über ein Thema, das ich nicht gut kannte: die Drogenbekämpfung in Kolumbien. Mir fiel auf, dass die Leidtragenden dieses Konflikts vor allem Frauen, Kinder und ältere Menschen waren. Sie haben kein soziales Netz mehr. Bei uns ist ein wichtiger Bestandteil des sozialen Netzes die Beiz. Der Gastgeber wirkt in Konfliktgebieten wie ein Schutzschild. Daraus entstand die Idee, in solchen Regionen Beizen zu eröffnen.»
Im Jahr 2006 realisierte Höner zusammen mit Tom Gfeller in Kolumbien ein erstes Projekt und merkte: das Konzept funktioniert. «Wir wollten nicht unbedingt in Kriegsgebieten agieren, sondern eher in Krisengebieten, die durch Armut, Ökologie, Rassismus, Freihandelsverträge oder ähnliche Aspekte betroffen sind und wo es dadurch Gruppen gibt, die stark darunter leiden und untereinander Kommunikationsprobleme haben. Da eignet sich die Beiz ganz hervorragend. Man setzt sich an einen Tisch, isst und trinkt gemeinsam und findet heraus, dass man eigentlich gar nicht so weit voneinander entfernt ist», sagt Höner.
Die totale Schikane
Der Erfolg vieler Projekte gab ihm Lohn ins Herz, es gäbe aber auch viele Dinge, mit denen man nur schwer umgehen könne. Zum Beispiel jene Geschichte, die er auf dem Rio Napo in Ecuador erlebte. Dort liegt eines der artenreichsten Regenwaldgebiete der Welt. Seit dort das Erdöl von der Regierung zur Ausbeutung freigegeben worden ist, wird der Regenwald grossflächig abgeholzt. Die Indigenas, die in kleinen Gemeinschaften in diesem Wald und entlang des Rio Napo leben, verlieren ihre Lebensgrundlage, da ihre Jagdgebiete kleiner und kleiner werden. Dies führt zu Konflikten zwischen den einzelnen indigenen Stämmen, die von verschiedenen Seiten teilweise bewusst forciert werden. Cuisine sans frontières hat deshalb ein Schiff auf dem Rio Napo, auf dem es indigene Einwohner entlang des Flusses zu Gastgebern ausbildet und die Gemeinschaft zwischen den indigenen Stämmen fördert.
Eines Tages kam Höner mit einem Vertreter der Erdölindustrie ins Gespräch. «Er hiess Rommel», erzählt er. «Ich fragte ihn, weshalb es nicht die gleichen Rechte für alle Menschen in der Region gäbe. Er meinte, das müsse ich schon ihm und seinen Kollegen überlassen. Wir bekamen Streit. Ich fragte ihn, was man jemals für die indigenen Stämme machte. Er sagte, man habe doch eben erst 2500 schädlingsresistente, gentechnisch veränderte Kakaopflanzen verteilt. In einem absoluten Biodiversitätsgebiet, wohlbemerkt. Ich sagte ihm, was ich von ihm halte. Am nächsten Morgen hatten wir ein Kommando von Armee, Polizei, Marine und dem Chef von Rommel auf dem Schiff. Sie durchsuchten alles, nach Waffen, nach Drogen, nach Zulassungen. Es war alles in Ordnung. Da meinte der Chef von Rommel, man müsse noch abklären, ob ich überhaupt eine Erlaubnis für das Schiff habe. Sie nahmen mich mit und sperrten mich ein. Ich durfte ein Telefonat machen und rief den Missionar der Gegend an, der mich eine Stunde später rausholte. Das war die totale Schikane. Und es zeigt: es gibt zu viele Parteien, die gar nicht wollen, dass sich irgendetwas verändert.»
Es geht um die Projekte
David Höner besuchte fast jedes Projekt des Vereins, nur im Kongo und in Georgien war er noch nie. Damit er sich ganz dem Projekt auf dem Rio Napo widmen kann, ist er inzwischen aus dem Vorstand ausgetreten. Das Präsidium gab er an Martin Roth ab. Auch Roth sammelt nun die unterschiedlichsten Erfahrungen. «Zum Beispiel, dass wir mit unserer Schweizerischen Mentalität immer das Gefühl haben, dass abgemachte Dinge auch funktionieren», erzählt er. «Doch das ist halt häufig nicht so, oft gibt es Überraschungen und Umwege, man braucht Flexibilität. Man muss Ziele haben und eine Struktur vorgeben und dann versuchen, sich an den Zielen zu orientieren, aber auch auf laufend verändernde Situationen eingehen zu können.»
Seit ihrer Gründung hat Cuisine sans frontières Projekte in Kolumbien, Brasilien, Georgien, Kenia und Kongo umgesetzt, war und ist aktiv auch in der Schweiz und in Österreich, wo sie sich als neutrale Gastgeberin für Flüchtlinge einsetzt. In Ecuador läuft schon das dritte Projekt. «Das sind immer Initiativen von Menschen, die uns kennen und denken, dass wir dort einen entscheidenden Schritt einleiten könnten», sagt Martin Roth. «Wir möchten uns nicht auf ein bestimmtes Gebiet konzentrieren. Es geht nicht um die Region. Es geht um die Projekte.» Diese funktionierten letztendlich nicht ohne starke Partner vor Ort, die mit dem Verein zusammenarbeiten. «Sonst ist der beste Ansatz nichts wert», sagt Roth, «weil er einfach nicht nachhaltig ist. Ohne eine lokale Verankerung machen wir nichts.» Je besser diese Verankerung ist, desto mehr Früchte trägt ein Projekt. Zum Beispiel in Georgien, wo der Verein Schulungsprojekte lancierte und bereits nach einem halben Jahr mehrere dieser Menschen Stellen in der Gastronomie finden konnten, was ohne Cuisine sans frontières schlicht nicht möglich gewesen wäre. «Wir haben inzwischen viele Projekte auf einen erfolgreichen Weg gebracht», sagt Roth. «Natürlich könnte man noch viel mehr machen. Man könnte sagen, das alles sei bloss ein Tropfen auf den heissen Stein. Aber ich glaube, wenn man so denkt, wird man schnell depressiv. Man muss sich auch über kleine Erfolge freuen.»
Rote und grüne Zettelchen
Es ist inzwischen 19 Uhr. Auf der Bühne wird geputzt, probiert, abgeschmeckt und die Teller werden bereitgestellt. Die Gäste sind eingetroffen, haben Platz genommen und die beiden Teams schicken das Amuse-Bouche. Der Service wird immer unterschiedlich organisiert, dieses Mal ist es ein Arbeitsintegrationsprogramm, unter Anleitung von zwei professionellen Chefs de Service.
Als Gast isst man jeden Gang von jedem Team. Jeweils nach der Vorspeise, nach dem Hauptgang und nach dem Dessert stimmen die Gäste mit grünen oder roten Zettelchen für eines der beiden Teams. Für jeden Gang vergibt das Publikum so zehn Punkte für ein Team. Hinzu kommt die fünfköpfige Jury, aus der jeder Kopf einen Gesamtsieger vorschlagen und so weitere fünf Punkte vergeben kann. Insgesamt vergibt die Jury also 25 Punkte, das Publikum 30 Punkte. Manchmal sind sich die beiden gar nicht einig, wie letzte Woche in Luzern, als die Jury geschlossen für das eine Team stimmte, das Publikum geschlossen für das andere Team.
Martin Roth strahlt über das ganze Gesicht. «Es freut mich immer, wenn der Kitchen Battle stattfindet und die Menschen einen tollen Abend miteinander teilen», sagt er. «Unsere Projekte funktionieren letztendlich genauso: wir stellen eine soziale Verbindung her, essen zusammen, tauschen uns aus, streiten miteinander und lösen so Konflikte.»
Veröffentlicht in der Fachzeitschrift „gastrofacts businessmagazin“ (März 2017).
Bild: Gründer David Höner in Aktion. (Foto: Caspar Hedberg)
Cuisine sans frontières finanziert sich hauptsächlich durch Mitgliedsbeiträge und Spenden. Mitglied werden können Privatpersonen, aber auch Gastrobetriebe. Jede Mitgliedschaft und jede Spende ist eine konkrete Massnahme zur Friedensförderung.
www.cuisinesansfrontieres.ch
www.facebook.com/Cuisinesansfrontieres
No comments yet