Die Technologisierung unserer Gesellschaft verläuft immer schneller, dank neuen Medien und leistungsfähigen Verbindungen sind wir so stark und eng vernetzt wie noch nie zuvor. Auch vor der Immobilienbranche macht diese Entwicklung nicht Halt. Wer nicht aufspringt, hat den Zug schon bald verpasst.

In den letzten Jahren führten die Technologisierung und Digitalisierung zu einschneidenden Veränderungen in fast allen Bereichen unserer Gesellschaft: alle Welt redet vom Internet der Dinge, also wie wir die unterschiedlichsten Elemente miteinander vernetzen können. Augmented Reality, Big Data, Crowd-Sourcing, Crowd-Funding, Sharing-Economy, Robotik – es gibt eine Fülle an Stichwörtern, die für diese grundlegenden Veränderungen, neuen Themen und grossen Chancen stehen.

Disruptive Geschäftsmodelle
Der Einfluss dieser Digitalisierung auf die Immobilienbranche ist enorm. Wer stehen bleibt, lebt gefährlich. Der Zug nähert sich sehr schnell und wer nicht aufspringt, verpasst ihn nicht nur, sondern wird von ihm überrollt. «Wir sprechen hier von disruptiven Geschäftsmodellen», sagt Peter Staub, Gründer und Geschäftsführer der pom+ Consulting AG. «Neue Modelle zerstören die bisherigen und ersetzen diese durch digitale Geschäftsmodelle.» Beispiele sind gut bekannt. «Als das Handy kam, war Nokia lange Marktleader. Den Sprung zum Smartphone hatte die Firma allerdings verpasst, heute sind Apple und Samsung die starken Marken. Wer einst Marktführer war, dann aber stehen bleibt, fällt während dem nächsten Schritt plötzlich weg», sagt Staub. Auch rund um Immobilien gab es bereits entsprechende Exempel. In der Wohnungsvermittlung hatte Homegate das Geschäft revolutioniert und die traditionellen Makler ersetzt. Anbieter und Nachfrager von Immobilien werden künftig noch weiter miteinander vernetzt.

Die Nachfrage ist schon da
Staub arbeitet derzeit an der Entwicklung einer App mit, welche die Kommunikation und die Prozesse zwischen Mietern und Vermietern automatisieren wird. Und dafür gibt es durchaus eine grosse Nachfrage. Das Mobiliar Lab für Analytik an der ETH Zürich und das ETH Software-Spin-off qipp befragten 1000 Mieterinnen und Mieter aus der Deutsch- und Westschweiz zu rund 30 möglichen Bedürfnissen aus den Themenbereichen Wohnungsdokumentation, Komfort, Nachhaltigkeit, Problembehebung und Nachbarschaft – von der Suche nach Gebrauchsanweisungen über Energiesparmöglichkeiten bis hin zur Kontaktaufnahme mit der Verwaltung oder den Nachbarn. Demnach liegt das grösste Potenzial an digitaler Unterstützung im Bereich Nachhaltigkeit. Vier der fünf am besten bewerteten Services stammen aus diesem Gebiet: Energieverbrauch und Nebenkosten kontrollieren, Tipps zu Energiesparmöglichkeiten sowie die Bestellung lokal produzierter Produkte. Ebenfalls auf grosse Resonanz stossen digitale Dienste im Bereich Wohnungsdokumentation und Problembehebung. «Digitale Services durchdringen mittlerweile viele Lebensbereiche », sagt Stefan Zanetti, CEO und Gründer der Firma qipp. «Rund um Immobilien gibt es allerdings vergleichsweise wenige digitale Angebote. Unsere Studie hat gezeigt, dass eine breite Nachfrage vorhanden ist.»

Auch in der Bewirtschaftung
Staub ortet auch auf der operativen Ebene der Immobilienbewirtschaftung, dem Betrieb, dem Unterhalt und der gesamten Instandhaltung grosse bevorstehende Veränderungen: «Anlagenteile werden fähig sein, ihren Zustand zu kommunizieren und Prozesse automatisiert auslösen zu können», sagt er. «Ist eine Tür beschädigt, wird sofort ein entsprechender Fachmann aufgeboten.» Er sieht diese Szenarien eher als Chance und Unterstützung für die Instandhalter, weniger als eine Gefahr. «Diese Möglichkeiten ersetzen die Funktion des Instandhalters nicht. Aber er weiss künftig schneller und genauer, was er tun muss. Schliesslich reden wir hier von realen Objekten, die man nicht komplett digitalisieren kann. Doch die Prozesse rundherum, die können wir automatisieren.»

Die Musik spielt im Bestand
Man könnte denken, die Digitalisierung sei vor allem bei Neubauten ein interessanter Bereich. Was die Gebäudeautomatisierung mitsamt entsprechenden Messsystemen und Anlagen betrifft, mag das tatsächlich so sein. «Doch die grosse Musik spielt im Bestand», sagt Staub. «Wir haben hierzulande Neubauten mit einem Gesamtvolumen von ungefähr 50 Milliarden Schweizer Franken. Das Volumen bestehender Gebäude beträgt rund 2500 Milliarden Schweizer Franken. Geht es um die Bewirtschaftung, den Unterhalt und die Nutzung, fokussiert die Digitalisierung vor allem diesen Bereich.» Nutzungskonzepte seien hierbei ganz zentral. So wie man über digitale Plattformen Mitfahrgelegenheiten oder private Zimmer zum Übernachten finden kann, werde man künftig auch rund um Immobilien eine Menge neuer Möglichkeiten nutzen.

Chancen und Gefahren
Neue, digitale Geschäftsmodelle werden die meisten traditionellen Modelle nicht vollständig ersetzen, aber sie doch weitgehend ablösen. «Man muss auch davon ausgehen, dass gewisse bisherige Modelle komplett ersetzt werden», sagt Staub. «Das Thema ist für jeden einzelnen Beteiligten in der Kette interessant, von Eigentümern über Bewirtschafter und Betreiber bis hin zu Mietern und Kunden, es gibt überall spannende Einsatzmöglichkeiten.» Ob das Ganze denn nur Chancen biete, oder auch Gefahren schaffe, zur Beantwortung dieser Frage sei er vielleicht die falsche Person, sagt Staub. Er sei vor allem begeistert von den Möglichkeiten. Aber natürlich gäbe es auch Gefahren. «Big Data ist ein Thema», sagt er. «Wenn man Mieterdaten auswertet oder die Mieter sich über eine Plattform über ein Objekt, den Bewirtschafter oder den Eigentümer äussern, kann diese Transparenz zu Situationen führen, mit denen man erst einmal umzugehen lernen muss.» Heute schon können Studenten ihre Professoren bewerten und Angestellte ihre Arbeitgeber. Das werde auch rund um Immobilien ein mögliches Szenario sein.

Den Zug nicht verpassen
Neu sind diese Entwicklungen nicht, auch in der Welt der Immobilien. Viele FM-Dienstleister
verschicken Auswertungen und Aufträge schon längst automatisiert. Doch dank der heutigen Breitband-Möglichkeiten, grossen Kapazitäten und Themen wie Cloud-Lösungen, Robotik oder Drohnen zieht die Geschwindigkeit der Veränderungen nun deutlich an. «Das Feld ist offen», sagt Staub, «da können noch Dinge kommen, die wir uns derzeit nicht einmal vorstellen können. Ein innovatives Geschäftsmodell lässt deshalb auch Raum für derzeit noch Undenkbares.» Um den Zug nicht zu verpassen, empfiehlt Staub sich eine Strategie zurechtzulegen, wie man als Unternehmen mit diesem Thema umgehen will. Dann gelte es, die eigenen Prozesse zu überprüfen und zu überarbeiten und zu definieren, wie man neue Produkte und Automatisierungen erreichen könne. «Insgesamt ist die Branche in diesen Fragen noch relativ rückständig. Doch nun ist die Zeit gekommen, etwas zu tun und nicht einfach einmal abzuwarten. Es braucht eine gewisse Risikobereitschaft. Man muss das Feld sondieren und sich vorbereiten.»

 

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Veröffentlicht in der Fachzeitschrift “fmpro service” (Mai 2015).

Bild: Japanexperterna.se / Flickr