Die EBM gehört zu den zehn grossen Energieversorgungsunternehmen in der Schweiz: rund 400 Mitarbeitende, hundertsiebzigtausend Kunden und vier verschiedene Geschäftsfelder – und eine breite Palette an Gefahren.

Die EBM im baslerischen Münchenstein arbeitet im Strom-, Wärme- und Netzgeschäft und mit erneuerbaren Energien. Zu diesen sehr unterschiedlichen Tätigkeiten gesellen sich die verschiedensten Gefahren: EBM-Mitarbeitende haben es mit Spannung, Elektrizität, CO2 oder Kohlenmonoxid zu tun und arbeiten auf Baustellen, in Gräben oder auf Dächern. Manchmal arbeiten sie alleine und häufig sind mit Fahrzeugen unterwegs. Diesem breiten Gefahrenportfolio sind sich CEO Conrad Ammann, Sicherheitsingenieur Lorenz Cairoli und Sicherheitsfachmann Luciano Azzolin sehr bewusst.

Welchen Stellenwert messen Sie der Arbeitssicherheit bei?

Conrad Ammann: Arbeitssicherheit ist eine Führungsaufgabe und eine Philosophiefrage. Wir legen seit vielen Jahren Wert auf die Ausbildung und Schulung unserer Mitarbeitenden. Wir kontrollieren systematisch und wir sensibilisieren konsequent, auch die Vorgesetzten. Wir stellen die richtige Persönliche Schutzausrüstung zur Verfügung und achten auf gut ausgerüstete und organisierte Fahrzeuge sowie auf saubere Schaltaufträge, Auftragserteilungen und auf die Arbeitsvorbereitung. Unsere Leute wissen was zu tun ist und die Geschäftsleitung trägt das mit. Alle sind sich bewusst, dass die Arbeit mit Elektrizität und die Bautätigkeit erhöhte Gefahren mit sich bringen. Es steht hier nie zur Diskussion, ob wir Arbeitszeit für Schulungen einsetzen und ob wir uns Schutzausrüstungen und Werkzeuge etwas kosten lassen. Das sind Themen, für die wir gerne Zeit und Geld investieren.

Wie schulen und sensibilisieren Sie die Mitarbeitenden?

Luciano Azzolin: Vieles machen wir selber, in unserem eigenen Schulungszentrum, für anderes ziehen wir externe Schulungsanbieter hinzu, beispielsweise rund um Absturzsicherungen, Erste Hilfe oder Brandlöschung. Wir haben ein eigenes Sicherheitshandbuch, das alle Mitarbeitenden erhalten. Je nach Arbeit, die sie dann erledigen, bauen wir diese Grundlagen stufenweise weiter auf.

Lorenz Cairoli: Unsere Mitarbeitenden im Wärmegeschäft haben natürlich ganz andere Anforderungen als beispielsweise jene, die mit Hochspannung oder erneuerbaren Energien arbeiten. Also haben wir eine Fülle an verschiedenen Kursmodulen zusammengestellt. Auch die Vorgesetzten sind involviert und müssen gewisse Kurse belegen. Das bewährt sich.

Conrad Ammann: Unsere Unternehmensgrösse bietet einen wesentlichen Vorteil. Wir haben eine sehr hohe Fertigungstiefe mit vielen Spezialisten, die ihr Wissen und ihre Erfahrungen in die Schulungen einbringen können.

Herr Ammann, sind Sie als CEO auch immer korrekt ausgerüstet, wenn Sie auf eine Baustelle gehen?

Conrad Ammann: Das ist das Ziel. Aber ich sage es offen: Besonders bei Piketteinsätzen ist das manchmal schwierig. Wenn ich unterwegs bin und spontan zu einem Einsatzort gehe, habe ich nicht immer das passende Schuhwerk dabei. Es ist ein Unterschied, ob ich geplant oder ungeplant hingehe. Und das ist ohnehin einer der grossen Unterschiede in Sachen Arbeitssicherheit, auch für die Mitarbeitenden. Piketteinsätze sind selten planbar und bis ins Detail vorbereitet. Dann ist auch das Gefahrenpotenzial höher. Dem sind sich jedoch alle bewusst und ich habe das Gefühl, man passt dann zusätzlich auf, man ist wacher. Ist alles geplant, ist der Faktor Routine eher eine Gefahr.

Trauen sich Ihre Mitarbeitenden, Stopp zu sagen?

Luciano Azzolin: Wir schulen es, wir pochen stark darauf und wir haben auch deshalb die Sicherheits-Charta unterschrieben. Es ist also nicht nur eine leere Floskel. Unsere Mitarbeitenden wissen das und ich denke, wir haben diesbezüglich eine gute Kultur im Unternehmen.

Lorenz Cairoli: Eine solche Kultur muss natürlich wachsen. Reagieren Vorgesetzte in einer solchen Situation falsch, kann man viel kaputt machen. Sagen Mitarbeitende Stopp, muss man das respektieren. Das sprechen wir auch an Kadersitzungen immer wieder an. Gibt es einen solchen Fall, kommt der bei uns auch auf den Tisch und wird in aller Ruhe diskutiert. Wir kehren das nicht unter den Teppich.

Conrad Ammann: Es braucht etwas Selbstbewusstsein, Stopp zu sagen. Erfahrene Mitarbeitende müssen das den jüngeren vermitteln. Wenn jemand unsicher ist und sich rückversichert, muss er sicher nicht befürchten, dass wir etwas dagegen haben. Dauert ein Piketteinsatz etwas länger, ist das nie eine Diskussion bei uns. Viele Vorgesetzte kennen diese heiklen Situationen aus eigenen Erfahrungen und verstehen das sehr gut.

Der Zeitdruck ist kein Thema?

Luciano Azzolin: Natürlich gibt es immer diesen Zeitdruck. Aber ich kann aus einem grossen Erfahrungsschatz schöpfen und stand selber schon vor dem Richter. Ich sage den Mitarbeitenden immer: wenn etwas passiert, dann habt ihr Zeit! Dann spielt es keine Rolle mehr, wie lange ein Bau stillsteht.

Lorenz Cairoli: Mach langsam, es pressiert – so könnte man das sagen. Zusätzlich zum Zeitdruck ist es auch eine Herausforderung, die Mitarbeitenden von Drittfirmen entsprechend einzubinden und zu schulen. Da haben wir etwas weniger Einfluss, die Fluktuation ist teilweise sehr hoch und diese Leute kennen unsere Anlagen weniger gut als unsere eigenen Mitarbeitenden. Da muss man immer dranbleiben.

Sie haben Ihre eigenen Erfahrungen angesprochen. Erzählen Sie uns mehr darüber?

Luciano Azzolin: Ich musste vor den Untersuchungsbehörden antraben, nachdem es einen beinahe tödlichen Unfall gab. Einen ganzen Morgen lang musste ich das gesamte Sicherheitskonzept, das Schulungskonzept, die entsprechenden Ausbildungsinhalte sowie die Ausbildungsnachweise darlegen, bis zum letzten Detail. Das war kein angenehmer Morgen.

Conrad Ammann: Als Führungsverantwortlicher erlebte ich drei schwere Berufsunfälle und die daraus folgenden Untersuchungen. Bei allen drei war Routine im Spiel. Bei allen Beispielen haben eingespielte Teams von langjährigen, erfahrenen Mitarbeitenden eine Situation falsch eingeschätzt und zu wenig klar miteinander kommuniziert. Die Untersuchungsbehörde stellte das als schweren Mangel fest. Die Betroffenheit war natürlich gross. Erlebt man einen solchen Fall und wägt ihn mit den Massnahmen ab, die man vorbeugend treffen kann, wird einem schon bewusst, dass dies sehr gut investierte Zeit ist.

Wie helfen Ihnen die 5+5 lebenswichtigen Regeln und die Sicherheits-Charta?

Conrad Ammann: Die lebenswichtigen Regeln werden von der ganzen Organisation gut angewandt – sie finden sich auch im Schulungskonzept, der Arbeitsvorbereitung, der Auftragserteilung, dem Verantwortungsbewusstsein und den Persönlichen Schutzausrüstungen wieder.

Lorenz Cairoli: Wir haben die Regeln auch genutzt, um unsere Schaltaufträge zu optimieren, die ganze Entstehungskette zu hinterfragen und uns selbst den Spiegel vorzuhalten. Die Unterschrift unter die Sicherheits-Charta wiederum ist ein einfaches Zeichen mit einer sehr grossen Wirkung. Alles, was wir damit unterschrieben haben, machten wir schon zuvor. Aber es hat nun eine andere Wirkung. Die Charta gibt die Legitimation, dass man Stopp sagen darf – und das gibt uns in unseren Bemühungen rund um die Arbeitssicherheit viel Rückenwind.

 

Veröffentlicht in der Zeitschrift „elektrorevue“ (Juli 2017).