Bild: Philipp Böni – Stefan Cadosch, Architekt und Präsident des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins SIA, sprach mit uns über seine Sicht auf das Facility Management und über dessen Bedeutung in der Planungswelt.

Stefan Cadosch ist von Haus aus Architekt, mit einem eigenen Büro in Zürich und mit aktuell sieben Mitarbeitenden. Und er ist seit rund sieben Jahren Präsident des SIA (Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein), einer der ältesten Vereine in der Schweiz – 182 Jahre alt und damit älter als die Eisenbahn oder die ETH Zürich.

Den SIA gibt es seit 182 Jahren – wer war der SIA damals und wer ist er heute?
Zur Gründungszeit war der SIA stark Eisenbahn-orientiert und vereinte deshalb viele Bauingenieure, aber auch stets viele Baumeister und Architekten. Man muss sich vorstellen, wenn jemand damals aus dem Kanton Graubünden nach Aarau zum Gründungsakt kam, reiste er vier Tage hin und wieder vier Tage zurück. Es ist weltweit einzigartig, dass Architekten und Ingenieure zusammen einen solchen Verein auf die Beine stellten. Wir sind heute einer der massgebenden Berufsverbände in den Themen Bau, Technik und Umwelt, vor allem fokussiert auf die Planung. Es gibt rund 18 Berufsdisziplinen in vier Berufsgruppen unter einem Dach, die ganze Bandbreite dessen, was es braucht, um ein Gebäude richtig zu planen. Diese verschiedenen Charaktere und Weltanschauungen machen es nicht immer einfach, ich empfinde das aber als sehr bereichernd. Wir alle können stark voneinander profitieren.

Der Mann auf der Strasse kennt den SIA vor allem durch seine Normen…
Wir haben – historisch bedingt – früh damit begonnen, das Baunormenwesen zu gestalten. Heute ist es ein staatlicher Auftrag, diese Normenlandschaft zu pflegen und zu unterhalten. Eine Norm ist kein Gesetz. Sie bildet die Regeln der Baukunde ab. Wenn sich diese dramatisch ändern, zum Beispiel durch neue Technologien, lassen sich Normen im Gegensatz zu Gesetzen verhältnismässig einfach ändern. Wir haben es geschafft, dass die SIA-Normen eine hohe Akzeptanz geniessen. Diese erreicht man nur, wenn die wichtigsten Player involviert sind. Alle dürfen sich beteiligen. Der SIA ist der Verwalter, der diese Menschen zusammenbringt, die dann etwas erarbeiten. Der Einigungsprozess ist sehr wichtig. Es geht nicht darum, etwas vorzuschreiben, sondern abzubilden, auf was sich die verschiedenen Akteure geeinigt haben.

Was fällt Ihnen spontan zum Begriff Facility Management ein?
Zum einen mache ich vielleicht den gleichen Fehler, den viele machen: mir kommt sofort der Schulhaus-Abwart von früher in den Sinn. Das ist das erste Bild. Das Facility Management wird oft darauf reduziert, was dem Thema nicht gerecht wird. Das FM ist eine sehr wichtige Funktion und verlangt nach einem grossen Planungsanteil bei einem Bau eines Gebäudes. Dieser bedeutet viel gesunden Menschenverstand, der uns in der heute hektischen Zeit oft abhandenkommt. Darum braucht es diese spezifische Disziplin, die sich darum kümmert, wie der Betrieb sichergestellt ist, so effizient und schlank wie möglich. Was ich jedoch feststelle: Der Anglizismus «Facility Management» weckt hie und da Angst und löst auch auf Seite der Bauherren oft eine Abwehrhaltung aus. Ich frage mich manchmal, ob man das herunterbrechen müsste.

Wenn Sie den Anglizismus anders beschreiben müssten, worauf würden Sie setzen?
Darüber habe ich noch nie nachgedacht und wahrscheinlich heisst es heute genau deshalb Facility Management, weil andere Menschen dies bereits ausführlich taten. Gerade der Wortteil Management zeigt, dass man das FM planen und betreuen muss und nicht einfach delegieren kann. Die strategische Komponente, die der Begriff impliziert, ist sehr wichtig. Wir müssen die technischen, kaufmännischen und infrastrukturellen Aspekte des FM zusammenhalten, da lassen sich viele Synergien nutzen.

Zu welchem Zeitpunkt in einem Bauprojekt sollte das FM welche Rolle wahrnehmen?
Da könnten wir eine riesige Debatte vom Zaun reissen. Natürlich ist es ideal, wenn das Thema schon im Vorprojekt spezifisch betrachtet wird. Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass der Architekt eine hohe Affinität zum FM haben muss. Wenn er seinen Planungsjob ernst nimmt, macht er sich auch Gedanken über die Lebensdauer von Produkten, über die Pflegbarkeit, und darüber, wie ein Gebäude künftig möglichst effizient funktionieren wird. Aber in den vielen Aufgaben eines Planers und Architekten kann das sehr wichtige Thema FM auch einmal untergehen.

Das heisst, in der Praxis kommt das FM erst später ins Spiel?
In der Praxis kommt es tendenziell eher später ins Spiel – im Bauprojekt, wenn viele Entscheidungen schon getroffen wurden. Professionelle Bauherren sind sehr nahe am Thema, aber wenn man für einen privaten Investor baut, der vielleicht noch nie zuvor baute, braucht es viel Überzeugungsarbeit, einen FM-Spezialisten früh einzubeziehen. Ich will den Ball aber nicht einfach den Bauherren weiterleiten. Es ist eine Schnittstellenfrage und der Planer braucht eine hohe Affinität zum Thema und muss die wichtigsten Fragen auch selber lösen können. Die Grenze ist deshalb fliessend. Aber durchaus ist in der Planungswelt noch kein durchgehendes Bewusstsein dazu da, sich FM-Wissen selber anzueignen oder Fachleute beizuziehen.

Könnte die SIA 142 dahingehend ergänzt werden, dass zwingend ein unabhängiger FM-Experte bei der Erarbeitung des Wettbewerbsprogramms und bei der Jurierung beigezogen werden muss?
Diesen Wunsch kann ich sehr gut verstehen, habe aber meine Bedenken. Wenn «zwingend muss» steht, hört das niemand gerne. Der Zwang ist nie gut. Dann wird zwar jemand beigezogen, aber nicht einbezogen. Stünde dort, «es ist sehr zu empfehlen, weil das zur Folge hat…,» – dann würde ich das unterstützen. Es ist spannend und zielführend, wenn der FM-Experte beigezogen wird. Dafür muss man mehr sensibilisieren. Das Thema ist zu wichtig, als dass man es nicht auch im Wettbewerb integriert. Das FM hat grosses Potenzial, ein Wettbewerbsprojekt zu verbessern. Wenn man damit gute Erfahrungen sammelt beginnt ein Automatismus und dann wird sich das etablieren. Der Quoten-FM’ler nützt jedoch nichts.

BIM soll einen verbesserten Betrieb bringen – leider bleibt das FM zu oft aussen vor…
Zu einem grossen Teil widerspreche ich dem. Das FM muss wie erwähnt ein Teil eines Planungsprozesses sein. Wenn es nicht ein ausgewiesener Spezialist ist, der das von Anfang an betreut, muss der Planer eine hohe Affinität zum Thema haben und den Bauherrn auf die Betriebsphase aufmerksam machen. Sie kostet viel mehr Geld als die eigentliche Erstellung des Gebäudes. Natürlich ist es auch in einem BIM-Projekt gut, wenn das FM möglichst früh einbezogen wird. Und natürlich ist BIM für alle Beteiligten eine grosse Chance und alle sind nervös, wo sie auf das Karussell aufspringen können. BIM wird den Planungsprozess aber nicht massiv abkürzen. Der Mensch hat seit der Steinzeit nicht gelernt, deutlich schneller zu denken. Bei einem ersten Zeichnungsschritt sehen wir die Platten im Badezimmer noch nicht. Wir müssen einen Entscheidungsprozess starten, wie das Gebäude einmal aussehen und funktionieren soll. Das ist ein Denkprozess, den wir nicht verkürzen und beschleunigen können. Deshalb glaube ich, alle Beteiligten können das Thema BIM gelassen nehmen. Wir werden das Rad des Bauens nicht komplett neu erfinden. Wir haben in unserer immer komplexeren Welt jedoch immer mehr Spezialisten, die miteinander reden müssen. Dafür ist BIM sicher sehr gut. Das Bauen wird nämlich nur besser, wenn wir effizienter und zusammenhängender denken können.

Wenn Lebenszyklusbetrachtungen zunehmend wichtiger werden, wird der Architekt dann selber stärker zum Betriebsmenschen?
Als Architekt kennt man häufig den Eigentümer, aber nicht allzu häufig kennen wir den Nutzer. Da erwartet man manchmal auch etwas hellseherische Fähigkeiten von uns. Bei einem Einfamilienhaus ist es einfacher, aber in einem Unternehmen ist es nur schon schwierig zu wissen, wer als erstes einzieht und ob das beispielsweise eine Druckerei oder ein Zahnarzt sein wird. Und wie oft wird das Gebäude dann über die nächsten hundert Jahre umgenutzt? Da hat man kaum eine Chance, das Richtige zu tun. Solche Themen interessieren uns als Planer natürlich. Muss ein Bauwerk nur die Bedürfnisse des ersten Nutzers erfüllen oder muss es ein grosses Paket für mögliche Nutzungsänderungen anbieten? Wir müssen abzuschätzen versuchen, wo die Reise hingehen könnte. Nehmen wir zum Beispiel das Thema Elektromobilität. In Zukunft werden unsere Fahrzeuge im Gebäude geladen, aber bisher gibt es in der Tiefgarage nur eine Steckdose – ob die das Fahrzeug überhaupt laden kann? Es spricht eigentlich auch gar nichts dagegen, mit einem Elektroauto direkt ins Wohnzimmer zu fahren. So ein Elektro-Sportwagen würde sich vielleicht ganz gut im Wohnzimmer machen. Wir müssen viel mehr darüber nachdenken, was noch kommen könnte.

Wie hoch ist die Bedeutung der Betriebskosten eines Gebäudes im Verhältnis zu den Erstellungskosten?
Das ist ein interessantes, spannendes und wichtiges Thema. Die wenigsten wissen, dass der Betrieb rund 80 Prozent der Gesamtkosten eines Bauwerkes ausmacht. Wenn man ein Gebäude baut, frisst das alles Geld weg. Der Bau ist deshalb der wichtigste Schritt. Man vergisst aber, dass dieses Gebäude danach jedes Jahr kostet. Diese Kosten wirken weniger schmerzhaft, weil man sie Jahr für Jahr abstottern kann und nicht auf einen Schlag finanzieren muss. Viele Bauherren versuchen, in den Baukosten zwei Prozent herauszuholen. Manchmal beeinträchtigen sie damit den Betrieb dermassen, dass dieser dann zehn Prozent mehr kostet. Die Profis wissen das natürlich, aber der kleinere Bauherr tappt da oft in eine massive Falle. Wir als Planer müssen darauf aufmerksam machen und dafür brauchen wir auch die Unterstützung des FM.

Auch in Abstimmungen kommen stets nur die Baukosten zur Vorlage. Zum Beispiel beim Zürcher Kunsthaus, wo ein 200-Millionen-Kredit genehmigt wurde, aber inklusive Betriebskosten eigentlich über 1,4 Milliarden entschieden wurde…
Ich bin überzeugt, dass dies zu einem grossen Teil politisch gewollt ist. Wenn man über 1,4 Milliarden abstimmt, gibt es kein Ja, das ist klar. Dieser Betrag wird immer geschrumpft und beim Teufel spricht man nicht über den Betrieb!

Inwiefern ist der Betrieb in der Ausbildung von Architekten und Planern ein Thema?
Meine Ausbildung ist lange her. Heute spielt der Betrieb eine grössere Rolle als damals. Aber das sind heftige Ausbildungen und man muss generalistisch ausbilden, die Studenten müssen von allem etwas mitbekommen, aber nichts absolut abschliessend. Der Architekt muss Ahnung haben von Statik, Technik, Soziologie, Recht, Altlasten, Entwurf, und zwingend auch davon, was FM ist. Ein stolzer Architekt macht sich viele Gedanken, welche Räume einen Bezug zueinander haben, wie Wege abgekürzt werden können, wie sich Baumaterial verhält, welche Folgekosten es auslöst. Das muss er in der DNA haben. Ein Bauingenieur genauso. Aber es ist schwierig, das FM ausgedehnter in diese Ausbildung zu bringen. Es gibt eine Grenze, was während der Ausbildung überhaupt möglich ist und wir machen uns deshalb am generalistischen Ansatz fest. Ich würde es begrüssen, wenn es beispielsweise FM-Module gäbe und das Thema in den vorhandenen Lehrstühlen eingebracht werden könnte und Kolloquien veranstaltet würden. Dann findet man auch Studenten, die sich da vertiefen möchten. Erst nach dem Studium merken viele Ingenieure und Architekten, dass sie sich mit einer gewissen Spezialisierung auszeichnen können – zum Beispiel mit der Spezialisierung FM. Also sollte sich das FM in diesem Bereich auf die Weiterbildungen konzentrieren.

Was würden Sie sich vom FM vermehrt wünschen?
Der FM-Spezialist ist keine aufdringliche Persönlichkeit. Das ist eigentlich sehr angenehm, aber ich würde mir dennoch mehr Sichtbarkeit wünschen. Der FM-Spezialist sollte sich mehr aufdrängen, auf eine positive Art, vielleicht auch auf eine spielerische Art. Er sollte mehr aufzeigen, was man von ihm hat, auf sich aufmerksam machen. Ein zentraler Wunsch ist ausserdem, mehr zu diskutieren. Wir sind darauf angewiesen, dass sich die Architektur weiterentwickelt. Rund um neue Produkte und Systeme bekomme ich aus dem FM oft zu schnell ein «Nein», aus der berechtigten Sorge, wie das später unterhalten werden kann. Trotzdem wünschte ich mir mehr Innovationsgeist, ein kleines bisschen mehr Risikofreudigkeit. Das FM sollte mit auf die Reise kommen, auch wenn wir nicht mit absoluter Sicherheit wissen, wohin sie geht. Wir haben mit Bauherren und Bauversicherungen gute Erfahrungen gemacht. Wenn man etwas Neues ausprobiert, muss man das natürlich so deklarieren. Und berechtigterweise muss uns das FM manchmal auch bremsen. Aber wir sollten den Weg der Innovation intensiver gemeinsam gehen. Tatsächlich ist der Bausektor nicht sehr innovativ und das hat auch mit dem FM zu tun.

Veröffentlicht in der Fachzeitschrift „fmpro service“ (Februar 2019).