Der Kanton Bern ist eine Herausforderung für die Gesundheitsversorgung. Beispielsweise wird am Inselspital Spitzenmedizin geboten, während im gesamten, weitläufigen und heterogenen Versorgungsgebiet eine hochwertige Grundversorgung sichergestellt werden muss. Dazu braucht es einen Spagat – und Balance.
«Sollte ihnen hier im Zentrum Paul Klee in Bern etwas geschehen, gibt es zehn Spitäler, die innerhalb von fünfzehn Minuten erreichbar sind», sagt Philippe Perrenoud, Regierungsrat, Gesundheits- und
Fürsorgedirektor des Kantons Bern und Präsident der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und Gesundheitsdirektoren (GDK). «Frauen aus der Gemeinde Gsteig müssen hingegen 71 Kilometer weit zum nächstgelegenen Spital mit einer Geburtshilfe fahren. Diese Unterschiede sind nur schwer zu akzeptieren, aber sie sind nun einmal die Realität.»
Der Kanton Bern ist eine grosse Herausforderung für die Gesundheitsversorgung. «Wir haben grosse Regionen, wir haben zwei Sprachen, wir haben Ebenen und Gebirge, wir haben städtisches, unkonventionelles, mondänes, hektisches Gebiet, wir haben aber auch ländliches, traditionelles, idyllisches, ruhiges Gebiet. Wir müssen sicherstellen, dass es für die Bevölkerung in den Regionen die gleichen Heilungschancen gibt wie für jene in der Stadt», sagt Perrenoud.
Der Spagat
Insgesamt stehen der bernischen Bevölkerung eine hohe Anzahl Akutspitäler, Rehabilitationskliniken und Psychiatrieeinrichtungen zur Verfügung. Doch die neue Spitalfinanzierung hat den Kanton Bern in zweierlei Hinsicht stark getroffen. Das herkömmliche Steuerungsinstrumentarium des Kantons wurde faktisch ausgehebelt. Zuvor finanzierte er nur die öffentlichen und öffentlich subventionierten Betriebe mit. Nicht subventionierte Privatspitäler mussten sich vollumfänglich aus Tarifeinnahmen finanzieren, was einerseits dazu führte, dass sie ihre Investitionsvorhaben rasch umsetzen konnten, die Grundversicherungsprämien im Kanton andererseits zu den höchsten zählten. Seit 2012 ist nun alles anders, der Kanton finanziert alle Listenspitäler, die Finanzierung ist abschliessend geregelt und schweizweit werden für die Behandlung und den Spitalaufenthalt einheitliche Tarife abgegolten. «Mein Vorgänger als GDK-Präsident sagte immer, es stehe dem Kanton doch frei, mehr zu bezahlen, wenn der Steuerzahler das tragen möchte. Das stimmt eigentlich auch. Aber es gibt dann Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Kantonen, was Probleme schafft», sagt Perrenoud. Er muss deshalb immer öfter den Spagat üben, denn die neue Spitalfinanzierung hat den Staatshaushalt schlagartig um rund eine Viertel Milliarde Franken pro Jahr zusätzlich belastet. Die Ausgaben für die Spitalversorgung sind um rund 20 Prozent auf über eine Milliarde Franken angewachsen, Tendenz weiter steigend. Das sind rund zehn Prozent des gesamten Budgets des Kantons. «Wir müssen die Mittel gezielt einsetzen, um eine hohe Qualität zu gewährleisten», sagt Perrenoud.
Umsetzung
Der Kanton Bern hat die neue Spitalfinanzierung strikt umgesetzt: Leistungsverträge werden nun mit allen Listenspitälern abgeschlossen. Sie umfassen allerdings nur noch die Zahlungsmodalitäten und die gemeinwirtschaftlichen Leistungen, allen voran die ärztliche Weiterbildung. Es gibt keine Mengenbeschränkungen, und sämtliche Erlöse verbleiben im Betrieb, namentlich die Einnahmen aus der Zusatzversicherung. Zuschüsse für den Betrieb oder den Unterhalt der Spitäler sind laut dem revidierten bernischen Spitalversorgungsgesetz nicht zulässig. Dies gilt auch für Spitäler, die in Kantonseigentum sind. «Alle Spitäler haben die gleichen Rechte und Pflichten, es gibt Grundregeln rund um die Versorgungsplanung, um das Life Cycle Management, das Monitoring und die Ausbildung von Fachkräften», sagt Perrenoud. «Die Spiesse sind gleich lang. Die Frage ist nur, ob es sich auch im interkantonalen Wettbewerb um Spiesse handelt, oder eher um Zahnstocher. Doch innerkantonal spielt der Wettbewerb. Den einzelnen Regionen gelingt es unterschiedlich gut, die Bevölkerung an ihr Spital zu binden. Dies ist jedoch essentiell: Wenn die Menschen in die Zentrumsspitäler gehen, sobald sie etwas haben, generieren die Spitäler in der Region nicht genügend Einnahmen.»
Spitalstandortinitiative
Mit der Spitalstandortinitiative soll das Rad allerdings wieder zurückgedreht werden. Sie verlangt eine Bestandsgarantie für öffentliche Spitäler bei ausgebautem Pflichtangebot. «Die treibenden Kräfte hinter der Initiative sind ausgerechnet jene, die bislang stets das Lied des freien Markts besungen haben», sagt Perrenoud. «Die Ängste, die dahinter stehen, müssen allerdings ernst genommen werden, besonders weil sie mit einem drohenden Abbau der ärztlichen Grundversorgung einhergehen. Die Peripherie fühlt sich alleine gelassen und unterversorgt. Doch die Initiative würde massive Zusatzkosten verursachen. Beim Kanton geht man von einem jährlichen, zweistelligen Millionenbetrag aus. Wenn keine zusätzlichen Finanzierungsquellen gefunden werden können, müsste dieses Geld an anderen Orten im Kantonsbudget eingespart werden. Doch für welchen Zweck? Die Initiative ist eine Illusion. Sie liefert die falschen Antworten auf ein tatsächliches Problem.» Bessere Antworten liefern gemäss Perrenoud verschiedene Modelle, die anstelle von Kleinspitälern die lokale Grundversorgung sicherstellen. Als Beispiele dienen ihm die Gesundheitszentren in Meiringen und Niederbipp oder das Projekt Medizinische Grundversorgung Simmental-Saanenland in Zweisimmen.
Die Balance
«Das Spital des 21. Jahrhunderts ist nun mal nicht mehr das Spital des 20. Jahrhunderts», sagt Perrenoud. «Eigentlich haben wir in den Randregionen heute sogar die besseren Leistungen. Die Menschen haben Angst, dass man alles nur zentralisiert und sie dadurch nur verlieren. Sie sehen noch nicht, dass man gewisse Leistungen auch wieder in die Regionen bringt. In Zweisimmen werden heute ambulante Leistungen angeboten, für die die Patienten früher nach Bern oder Thun gehen mussten. Die Balance zwischen Zentral- und Flächenversorgung stellt sicher, dass die Bevölkerung mit dem Angebot zufrieden ist. Ein Spagat gelingt nur, wenn man die Balance halten kann.»
Veröffentlicht in der Fachzeitschrift „fmpro service“ (Juli 2015).
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Bild: GDE
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