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Marcel Baumer, Präsident des Verwaltungsrates der Hälg Facility Management AG, legt die Karten auf den Tisch und spricht im Interview über das FM und seinen Stellenwert, über die steigende Komplexität, über Digitalisierung, die Energiethematik, den Fachkräftemangel und über viele weitere Themen, die ihn und sein Unternehmen im Alltag beschäftigen.

Marcel Baumer und sein Bruder sind die Inhaber der Hälg Group. Sie führen das Familienunternehmen in der vierten Generation. Marcel Baumer verantwortet unter anderem das Tochterunternehmen Hälg Facility Management AG.

Was macht die Hälg Group genau – und was macht sie aus?

Wir möchten den ganzen Lebenszyklus von Gebäuden und Arealen im Bereich der Gebäudetechnik abdecken. Das beginnt ganz am Anfang, beim Consulting und Engineering. Wir beraten und planen aber nicht nur, sondern installieren die Anlagen auch, sorgen für die Automatisierung mit Mess-, Steuer- und Regelungstechnik und bieten konventionellen Service an. Und vor nun bereits über 20 Jahren stellten wir fest: es geht auch danach weiter, im Betrieb – nicht nur von geplanten und erstellten Anlagen, sondern von den gesamten Facilities. Also bauten wir den Geschäftsbereich Facility Management auf und entwickeln diesen nun weiter. Der Betrieb wird in der Lebenszyklus-Betrachtung immer wichtiger. Schaut man sich einmal den Zustand von Gebäuden und Arealen an, den Sanierungsstau sowie die fehlenden Kompetenzen der Nutzer, verursacht durch eine zunehmende Komplexität, dann ist der Bedarf sehr gross und wir können hier Hand bieten. Natürlich gibt es auch in der Schweiz Regionen, in welchen das Outsourcing von FM-Leistungen schon einen hohen Stellenwert hat und solche, die noch viel Potenzial haben.

Welche Regionen sind weiter, welche weniger?

Typischerweise ist man in den Grossstädten schon weiter, zum Beispiel in Zürich, wo eine enorme Dichte an Kunden existiert, die sich auf ihre eigenen Kompetenzen konzentrieren möchten. Auch Genf mit den vielen internationalen Firmen oder Basel mit den grossen Industrien gehören zu den weiter entwickelten Regionen. In den ländlicheren Regionen, auch in der Ostschweiz oder in der Innerschweiz, gibt es hingegen noch viel zu tun.

Sie sprachen die zunehmende Komplexität an. In dieser Hinsicht nimmt das Tempo bestimmt stark zu?

Das FM an sich verändert sich sehr schnell. Als der Markt in der Schweiz entstand, musste man erst erkennen und lernen, dass FM nicht einfach nur Facility Services mit ein paar Zusatzthemen ist. Es ist eine eigene Disziplin, die nach eigenen Spezialisten verlangt. Nur weil wir als Hälg Group seit bald hundert Jahren technische Services anbieten, sind wir nicht automatisch fähig, FM zu machen. Es braucht weit mehr und die Kunden erwarten andere Dienstleistungen. Sie möchten nicht nur ein Management der Leistungen, sondern auch, dass man diese Leistungen selbst erbringt, mit eigenem Personal und eigener Wertschöpfung. Doch diese Kompetenzen aufzubauen und Personalgruppen zu integrieren, das geht natürlich nicht von heute auf morgen.

Die eigene Wertschöpfung bedeutet, dass Sie möglichst als Komplettanbieter aktiv sein möchten?

Nicht alle Disziplinen machen im Angebot Sinn. Catering oder Spezialreinigungen können gut mit Subunternehmern gelöst werden. Das ist natürlich oft ein Volumenentscheid: kann man das überhaupt insourcen und eigene Abteilungen aufbauen oder nicht? Wo es allerdings einen täglichen Kundenkontakt gibt, steht es für uns nicht zur Diskussion – hier wollen wir eigenes Personal, auch um die Qualität hoch zu halten und die Ausbildung der Mitarbeitenden zu ermöglichen. Zieht man externe Firmen bei, ist man immer ein wenig ausgeliefert. Mit eigenen Mitarbeitenden ist alles viel einfacher. Natürlich muss man auch gute Fachkräfte finden, halten und mit ihnen gut umgehen. Dann kommt man auf die Erfolgsspur. Ich bin überzeugt: Im FM ist der Kontakt der Kunden mit unseren Mitarbeitenden vor Ort entscheidend, viel mehr als der Kontakt mit dem Manager in unserem Büro, der das Mandat steuert.

Finden Sie denn genug Fachkräfte?

In der Regel eher nicht. Manchmal müssen wir deshalb von Mandaten Abstand nehmen. Bei der Risikobeurteilung einer Offerte stellen wir uns immer die Frage, ob wir die passenden Fachkräfte rechtzeitig aufbauen können. An Lager haben wir keine, sonst würde etwas nicht stimmen. Also muss man auf vielen Kanälen aktiv sein. Die Reputation der Firma am Markt hilft. Wir versuchen, unsere Mitarbeitenden in die Suche nach Fachkräften einzubinden und haben ein Programm mit dem Namen «Bring a friend». Wer einen Kollegen oder eine Kollegin motivieren kann, bei uns zu arbeiten, erhält einen finanziellen Zustupf. Auf diesem Weg werden auch eher gleichgesinnte Mitarbeitende angezogen. Man weiss besser, wie sie denken, woher sie kommen und was sie schon gemacht haben. Letztlich müssen unsere Mitarbeitenden auf den Objekten als Team zusammenarbeiten. Das verlangt nach einem guten Verhältnis untereinander. Ausserdem investieren wir viel in die Ausbildung, ermöglichen unseren Mitarbeitenden grosszügig Weiterbildungen, wenn sie im Geschäftssinn sind, und erhalten so zusätzliche Kompetenzen. Auch die Ausbildung der Lernenden ist wichtig. Als Firma in unserer Grösse sind wir das dem Markt schuldig. Wir haben eine hohe Quote von Mitarbeitenden, die wir nach Aus- und Weiterbildungen weiterbeschäftigen, aber es gibt natürlich keine Garantie. Auch die Hochschulen sind interessant. Wir bieten Praktikumsstellen für Hochschulabsolventen an. Das ist eine gute Gelegenheit, um zu spüren, ob wir für jemanden künftig eine gute Arbeitgeberin sein könnten. Wir kombinieren also verschiedene Massnahmen. Man muss schon alle Tasten am Klavier spielen, sonst gibt es am Ende keine Musik.

Sie lehnen tatsächlich auch Mandate ab?

Das ist eine ganz wichtige Überlegung, die im Verkauf weit vorne steht. Wir müssen die Ressourcenthematik intensiv besprechen und gegenüber Kunden offen sein, wenn uns der Auftrag zwar interessiert, er im vorgegebenen Zeitplan aber nicht möglich ist. Das gibt meistens gute Reaktionen und manchmal kommt es zu einem späteren Zeitpunkt zu einer Zusammenarbeit. Mit offenen Karten zu spielen kommt sehr gut an. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir uns als Qualitätsanbieter auch nichts anderes erlauben können. Die Reputation ist so schnell kaputtgemacht. Das wiederaufzubauen dauert jedoch sehr lange. Dieses Risiko wollen wir nicht eingehen.

Vermissen Sie unter den Hochschulabsolventen in den Praktika gewisse Skills?

Ich sehe sie in der täglichen Arbeit nicht und kann nicht sagen, ob es Wissenslücken gibt. Wir stellen aber fest, dass sie sehr wissbegierig sind und eine grosse Bereitschaft mitbringen, etwas zu lernen. Dass eine Ausbildung akademisch ist, das ist natürlich immer ein Thema. Sie muss auch akademisch sein, damit man Grundlagen und Zusammenhänge versteht. In der Praxis hat jedes Mandat Spezialitäten und Komplexitäten, die man auf Papier fast nicht ausbilden kann. Auch deshalb braucht es diese Praktika, um die Studierenden für den Markt fit zu machen. Die Ausbildungsanbieter haben das erkannt, sind gut aufgestellt und bewegen sich am Puls der Zeit. Sie antizipieren, was der Markt macht und reagieren darauf. Welche Schwerpunkte man genau lehren soll, ist ohnehin schwierig zu sagen, das Thema ist dermassen breit. Genau das reizt auch so viele junge Menschen am FM. Man ist nie fertig, kann immer wieder neues erleben und erhält stetige Herausforderungen.

Beschäftigt Sie die Digitalisierung?

Natürlich, sie betrifft alle Bereiche unseres Lebens und man kann sich ihr nicht verschliessen. Uns beschäftigt sie vor allem rund um die Automatisierung. Wir haben heute noch zu viele papiergestützte Arbeitsabläufe, zum Beispiel die Rapportierung der Leistungserfassung. Es ist heute eigentlich wahnsinnig, hier noch mit Papier zu arbeiten, das verursacht Zeitverzögerungen. Deshalb ist die Real-Time-Thematik bei uns weit oben auf der Agenda, um Mandate besser steuern und geleistete Arbeiten und allfällige Zusatzleistungen erfassen zu können. Ein anderer Bereich ist die Digitalisierung der Informationen rund um ein Mandat: Pläne, Schemas, Bedienungsanleitungen für technische Einrichtungen, kundenspezifische Prozessabläufe und ähnliches. So können wir visualisieren, was man auf dem Areal antrifft oder wo man was findet. Auch hier gibt es noch Lücken. Um die zu füllen, brauchen wir auch die Systemanbieter und ein Zusammenspiel der ganzen Industrie. Unser Ziel ist es, dass unsere Mitarbeitenden über mobile Geräte alle Informationen in Echtzeit abrufen und damit arbeiten können – für Jeden und Jede stufengerecht aufbereitet, so dass alle erhalten, was sie brauchen, und nicht erhalten, was sie nicht brauchen.

Welche weiteren Herausforderungen beschäftigen Sie derzeit?

Für uns ist die Umsetzung der aktuellen Strategie für die nächsten Jahre ein wichtiges Thema. Wir möchten – wie wir es mit der Hälg Group im Anlagenbau und Service schon haben – auch mit der Hälg Facility Management AG eine schweizweite Abdeckung erreichen. Das geht natürlich nur über Mandatsgewinne und nur mit dem passenden Personal. Ich denke, wir haben dafür eine gute Basis. Wo wir mit dem Anlagenbau bereits Niederlassungen haben, gibt es einen Kern, aus dem hinaus man das FM entwickeln kann. Wir haben aktuell in Basel eine Niederlassung eröffnet und überlegen uns nun, welche Wirtschaftsregion als nächste dazu kommt.

«Man muss alle Tasten am Klavier spielen, sonst gibt es am Ende keine Musik.»

Bringen Kunden das Thema Energiemanagement häufig ein?

Wir konnten zusammen mit der ZHAW ein Forschungsprojekt bearbeiten, das sich mit dem Thema Energie beschäftigte, konkret mit der Performance Gap von Gebäuden. Die Resonanz der Kunden war eher schwach. Es ist teilweise erstaunlich, wie wenig präsent das Thema ist. Vielleicht weil man meint, man sei schon sehr optimiert. Oder es liegt daran, dass der Return eines Investments nicht in zwei oder drei Jahren, sondern längerfristig erwartet werden kann. In unseren Verträgen nimmt das Thema Energieoptimierung nicht viel Raum ein. Die Kunden beschäftigt viel eher die steigende Komplexität der Gebäude, weshalb auch mehr FM-Dienstleistungen ausgelagert werden. Und sie beschäftigt unsere eigene Wertschöpfung. Auch bei Ausschreibungen wird das explizit verlangt und nachgefragt, in welchen Diensten und in welchem Grad das stattfindet. Die eigene Wertschöpfung ist ein wesentliches Auswahlkriterium. Wir finden, das ist ein guter Trend. Er führt dazu, dass man mit eigenem Personal die bestellte Qualität sicherstellen muss und kann.

Wie beurteilen Sie die öffentliche Wahrnehmung und den Stellenwert des FM?

Die ist noch nicht dort, wo sie hingehört. Sehr oft wird FM noch mit dem Hauswart und der Reinigung gleichgesetzt. Da hat man sicher noch Potenzial. Durch die enorme Breite der Möglichkeiten der Dienstleistungserbringung müsste das FM einen viel höheren Stellenwert haben. Es ist eine gute Arbeit, die sich übrigens auch nicht einfach wegrationalisieren lässt. Wenn man im FM arbeitet und die Freude an dieser Arbeit vermittelt und gegenüber den Kunden ausstrahlt, ist man schon auf der Gewinnerstrasse.

Als Anbieter, der den gesamten Lebenszyklus betrachtet: wann sollte das FM in einem Bauprojekt eingebunden werden?

Ganz am Anfang. Das geschieht leider noch viel zu selten. Und man sollte das FM dann nicht einfach nur dabeihaben, sondern es soll sich in die Planung einbringen können, damit enorme Kosten im Betrieb verhindert werden. Für uns ist es ein Mysterium, weshalb das nicht häufiger so umgesetzt wird. Bei unserem PPP-Projekt in Burgdorf dürfen wir 25 Jahre lang das ganze Areal betreiben. Wir hatten das dort konsequent umgesetzt, das FM hatte in jeder Planungs- und Bauphase ein Mitspracherecht. Wir sind jetzt im achten Jahr des Betriebs und sehen, wie sehr uns das zu Gute kommt. Das heisst nicht, dass Dinge verhindert werden, sondern bloss, dass man sie anders löst – organisatorisch oder hinsichtlich der Materialwahl, und immer mit Blick auf die enormen Kosten, die in den vielen Jahren eines Lebenszyklus entstehen.

Weshalb wird dies noch zu selten so gelebt?

Wir orten das Problem grösstenteils in der Trennung zwischen den Investoren und den Nutzern. Das sind verschiedene Kassen und in der Planungsphase kennt man den Nutzer vielleicht noch gar nicht. Auch hat das gesamte Bau- und Baunebengewerbe verlernt, miteinander im Dialog zu stehen und voneinander zu lernen. Man sollte wieder mehr gemeinsam entwickeln und alle Aspekte einbeziehen. Da liegt viel Potenzial brach. Das FM ist zu weit hinten in der Kette. Investoren, Architekten und Planer stellen die Weichen. Wir selbst versuchen uns hier auch immer aktiv einzubringen und das Bewusstsein für die Lebenszykluskosten zu schärfen. Man findet immer eine Lösung, aber man muss rechtzeitig darüber befinden können.

Welche Bedeutung haben für Sie die Verbände in dieser Branche?

Sie sind vor allem im Bereich Informationsaustausch sehr wichtig. Wir pflegen das auch, in allen Geschäftsbereichen. Man kann von anderen immer lernen. Man kann Ideen aufnehmen, diskutieren, die Entwicklung der Branche mitverfolgen und mitgestalten. Und dann braucht es die Verbände natürlich auch für den Blick voraus: Was könnte als nächstes kommen? In der täglichen Arbeit ist man manchmal befangen oder auch gefangen im eigenen Bild und man nimmt sich wenig Zeit für einen Ausblick, wohin die Entwicklung gehen könnte. Manchmal liefert das Ausland Antworten, weil wir in der Schweiz immer ein bisschen später dran sind. Hier braucht es eine internationale Vernetzung der Verbände, die einen Radar ermöglichen, was wo läuft und was das für die Schweiz bedeuten könnte.

Veröffentlicht in der Fachzeitschrift “fmpro service” (Frühling 2019).