Komplexe Anlagen haben häufig grosses Potenzial für Verbrauchs-Einsparungen. Doch dafür braucht es ein gutes Konzept, genaue Messungen und die richtigen Analysen und Beurteilungen.
«Es setzt sich die Erkenntnis durch, dass je grösser eine Unternehmung ist, desto grösser ihre Verpflichtung ist, sich über geschäftliche Aspekte hinaus hinsichtlich der Lösung von Problemen der Menschheit zu engagieren.» Das sagte Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler im Juli 1959. Und diese Probleme der Menschheit betreffen auch das Thema Energie. Seit Mitte der 1970er-Jahre bemüht sich die Migros deshalb um eine sinnvolle und wertschöpfende Nutzung der Energie.
19’500 Zähler, alle 15 Minuten
Diese Ziele strebt sie mit einer systematischen und kontinuierlichen Bewirtschaftung der Energie an. Dazu betreibt die Migros ein eigenes Energiemanagement-System zur detaillierten Erfassung und Auswertung des Verbrauchs. Aktuell werden rund 19’500 Zähler viertelstündlich erfasst, darunter Strom, Wasser, Gas, Öl sowie Wärme und Kälte. Auf diesen Messungen basierend lassen sich die verschiedensten Anlagen zusammen mit den Systemlieferanten optimieren und die Wirkung dieser Massnahmen dann wieder überprüfen. «Die Migros nimmt schon lange Energiezahlen auf und bildet Kennzahlen», sagt Michael Landtwing, Fachbereichsleiter Energiebewirtschaftung des Migros-Genossenschaft-Bunds. «Vor sieben Jahren ging man von Monats- oder Zwei-Monats-Ablesungen über in ein professionelles Energiedatenmanagement. Es brauchte Zeit und Ressourcen, um diese Infrastruktur aufzubauen. Doch die eigentliche Arbeit, die begann erst, als die Messpunkte bereit waren. Wir mussten gute Prozesse aufsetzen, die tatsächlich greifen, um noch besser, effizienter und systematischer arbeiten können.»
Neu- und Umbauprojekte
Landtwing und sein Team, insgesamt sechs Mitarbeitende, fokussieren mit ihrer Arbeit vor allem Um- und Neubauprojekte. Total geht es um rund 700 Gebäude, die in einem Zyklus von etwa 15 bis 20 Jahren wieder in eine Renovation kommen. «Sparen könnte man überall», weiss er aus seiner Erfahrung. «Aber man muss die grossen Hebel finden, um mit wenig finanziellem Aufwand die grösstmögliche Wirkung zu erzielen. Deshalb konzentrieren wir uns auf die Neu- und Umbauten. Sie sind noch in der Garantie, aber viel wichtiger ist, dass alle involvierten Personen noch mit dem Objekt verbunden sind.» Die Prozesse und die Mitarbeitenden sind dann die wichtigsten Faktoren. «Viele verschiedene Abteilungen müssen bestmöglich interagieren, damit die Informationen fliessen. Auch schulen wir unsere Mitarbeitenden immer wieder, ob im Bau oder unter dem Verkaufspersonal», sagt er.
Es steht und fällt mit dem Konzept
Das Team arbeitet derzeit an mehreren Objekten. Diese Projekte beginnen immer mit der Konzeptphase. «Hier stellt man die Weichen, wie effizient eine Anlage am Ende überhaupt laufen kann», sagt Landtwing. Nach der Inbetriebsetzung sollen die Prozesse so optimiert sein, dass schon zwei Wochen vor der Eröffnung alle Zähler am Messen sind. Während der Aufschaltphase werden bereits wertvolle Energiedaten erfasst. Mit dem Start-Energie-Scan wird eine erste Analyse der Verbräuche erstellt und bei der Abnahme hat man eine Massnahmenliste bereit. «Es ist eindrücklich, wie positiv die Unternehmer darauf reagieren», sagt Landtwing. «Sie möchten eine optimale Anlage aufstellen, das ist ein Berufsstolz. Unsere Feedbacks werden immer sehr positiv aufgenommen und die Unternehmer haben ein grosses Interesse daran, die Massnahmen umzusetzen.»
Für ihn ist es wichtig, dass alle Beteiligten, die während den ersten zwei Jahren die Anlagen optimieren, auch in der Konzeptphase dabei waren und wissen, was das Konzept vorsieht. Das müsse bei jeder Entscheidung im Hinterkopf sein. «Hauruck-Entscheidungen sind energetisch meistens negativ», sagt er. «Man muss die Zusammenhänge kennen und sich für Entscheidungen Zeit nehmen.» Dann gelte es, Anlage für Anlage systematisch durchzugehen und die Soll-Werte zu überprüfen. Das Team muss die Daten immer genau betrachten und analysieren. Das Pop-up, das eine Unstimmigkeit meldet, der man dann nachgehen kann, das gibt es nicht. «Das würde nur funktionieren, wenn man Kennzahlen oder Vergangenheitswerte hat, die man erreichen muss», sagt Landtwing. Doch bei einem neuen Objekt hat man keine Vergangenheitswerte und wir wollen auch unter den Zielwerten bleiben, welche durch die KES 2020 definiert wurden. Also müssen wir zuerst eine gute Basis schaffen, systematisch durch die ganzen Anlagen gehen und diese bewerten. Ist der Verbrauch auf einem guten Niveau, wird eine Referenzlinie gebildet und der Prozess automatisiert, damit die Anlage auf dem optimierten Niveau bleibt.»
Übliche Verdächtige?
Übliche Verdächtige gibt es nicht. «Alles ist verdächtig», sagt Landtwing. Je nach Objekt seien die Betriebsoptimierungen an anderen Punkten vielversprechender. «Manchmal ist es die Lüftung, manchmal die Kälte, manchmal ist es auch etwas ganz Anderes.» Potenzial habe es in allen Komponenten. Landtwing kennt viele verschiedene Szenarien:
- Zum Beispiel: Ein Objekt wurde Anfang Jahr abgenommen. Man betrachtete die Frühlingsperiode und stellte alle Parameter richtig ein. Dann kam der Sommer und der brachte neue Erkenntnisse, was nicht richtig umgesetzt wurde, vor allem bei der Schnittstelle Klimakälte. Der Hersteller hatte eine bestimmte Art der Regelung eingerichtet, von der er wusste, dass die Anlage nicht störungsanfällig ist. Jedoch konnten so die geforderten Temperaturen nicht erreicht werden. «Jede Jahreszeit muss optimiert werden», sagt Landtwing. «Und das überprüfen wir immer über einen Zyklus von 24 Monaten. Nach der Abnahme im ersten Jahr analysieren wir jede Jahreszeit, besprechen uns mit Nutzern und Unternehmern, korrigieren und kontrollieren. Im zweiten Jahr schauen wir, ob eine Korrektur im Winter keinen negativen Einfluss auf den Betrieb im Sommer hatte. Nach zwei Jahren wollen wir sagen können: Jetzt stimmt es.»
- Ein anderes Szenario: Für ein Gebäude liess man die gewünschte Heizkurve dem Unternehmer zukommen. Das Netz und die Wärmeerzeuger waren genau auf diese Heizkurve ausgelegt. Doch im System war dann eine andere Kurve eingestellt. «Die Kreativität ist grenzenlos», sagt Landtwing. «Jemand im Gebäude hatte kalt und passte die Kurve an, auf satte 46 Grad. Das kann die Anlage gar nicht leisten, aber man kann es ja mal fordern.»
- Oder: Die Lüftungen in einem Objekt liefen teilweise während 24 Stunden, wochenlang. «Einzelne Raumregulierungen arbeiteten mit falschen Werten. Doch für einen optimalen Betrieb muss jede einzelne Stellschraube sauber eingestellt sein, sonst funktioniert das ganze Konzept nicht», weiss Landtwing.
Fazit
Der allerwichtigste Punkt rund um Betriebsoptimierungen: man muss messen. Nur was gemessen ist, kann man managen. Wie viel man mit solchen Massnahmen tatsächlich einsparen kann, ist allerdings gar nicht so einfach zu quantifizieren. «Das Potenzial ist generell sehr gross, davon bin ich überzeugt», sagt Landtwing. «Es ist sicher so, dass derart komplexe Anlagen häufig weit ausserhalb ihres Optimums laufen. Man kann Anlagen so laufen lassen, dass sie deutlich mehr verbrauchen, als für ihre Funktion notwendig ist.»
Veröffentlicht in der Fachzeitschrift “fmpro service” (Dezember 2016).
Bild: Cisco Ripac / pixelio.de
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