Nach einem Elektrounfall sah Stefan Weilenmann eine Woche lang nichts mehr, hatte schwere Verbrennungen, lag drei Wochen lang im Spital und erlitt ein Trauma. Er hatte Glück im Unglück. Es hätte nämlich noch viel schlimmer kommen können.

Heute ist der 46-jährige Stefan Weilenmann Inspektor Rayon Ost beim Eidgenössischen Starkstrominspektorat (ESTI). Das ist keine Selbstverständlichkeit. Denn im Alter von knapp 20 Jahren, genau einen Tag nach seinem Lehrabschluss und an seinem ersten Tag als Monteur, verursachte er einen Kurzschluss. Der hätte ihn das Augenlicht oder sogar das Leben kosten können.

Was geschah am 1. Mai 1989?
Weilenmann: Es war der Tag der Arbeit, für uns ein guter Tag, um in Ruhe und spannungsfrei arbeiten zu können. Doch dann entschieden wir uns, etwas schneller vorwärts zu kommen und trotzdem unter Spannung zu arbeiten. Ich war jung und willig, aber es fehlte mir die Erfahrung zu erkennen, was ich aus elektrotechnischer Sicht eigentlich tat. Das hatte fatale Folgen: ein Kurzschluss und ein Lichtbogen mit Flammbogenwanderung.

Was genau war passiert?
Wir demontierten die Abgänge bei einem alten Stockwerkverteiler und wollten die alte Verteilung nicht gesamthaft abschalten, sonst wäre ein weiteres Stockwerk davon betroffen gewesen. Also entfernten wir die Sicherungen des Abganges, trennten die abgehenden Leiter hinter dem Tableau ab und schlossen sie am provisorischen Verteiler wieder an. Dann störten uns die hinten am Tableau vorstehenden Drahtenden. Wir lösten die einzelnen Leiter bei den Sicherungselement-Anschlüssen, um die Leiter gesamthaft zu demontieren. Das siebte Element in der zweiten Reihe war ein TT-Abgang. Da die Verteiltafel nach Schema TN-C verdrahtet war, wurde der Schutzleiter eingangsseitig am PEN-Trenner angeschlossen. Ich fuhr mit dem Seitenschneider zu den eingangsseitigen Anschlussklemmen des Elementes und wollte den Schutzleiter abtrennen. Dabei geriet ich gleichzeitig an den benachbarten Polleiter und löste dadurch einen leistungsstarken Lichtbogen aus, zwischen 5000 und 7000 Grad Celsius heiss. Durch die Wärme und den Druckausgleich gab es eine Luftausdehnung, deren Kraft in etwa einem Fahrzeug entspricht, das mit 160 Stundenkilometern in eine Betonmauer fährt – direkt vor dem Gesicht.

Was geschah Ihnen?
Ich war geblendet und fiel von der Bockleiter. Mein Kollege erzählte mir später, ich sei bis zu den Beinen in einem Feuerball gestanden. Ich hatte das Glück, dass ich oberhalb des Kopfes arbeitete und das Gesicht in den Arm presste. Ausserdem blieb es bei einem einpoligen Kurzschluss. Wäre die Luft ionisiert und leitend gewesen, hätte es eine explosionsartige Reaktion gegeben und die ganze Verteilung wäre uns um die Ohren geflogen. Meine Haare waren natürlich verbrannt und der rechte Unterarm, mit dem ich den Seitenschneider hielt, war verkohlt. Ich trug keine Schutzausrüstung und hatte Verbrennungen dritten Grades. Hautfetzen hingen herunter und rohes, gekochtes Fleisch schaute hervor. Das war kein netter Anblick.

Was dachten Sie in diesem Moment?
Ich stand natürlich unter Schock, aber ich realisierte, dass ich einen Kurzschluss verursachte und dass das nicht gut war. Meine Augen schmerzten. Ich lief sofort zum Lavabo und hielt meinen Arm eine gute halbe Stunde lang unter das fliessende, kalte Wasser, deshalb sieht man heute fast nichts mehr von den Verletzungen. Dann brachte mich mein Kollege zum Hausarzt, welcher mich sofort ins Spital schickte. Mein Arm und meine Hand sahen schlimm aus und meine Uhr war in die Haut eingebrannt, die Zeiger schauten zum Fleisch heraus. Die Taxifahrerin musste sich übergeben. Im Kantonsspital Herisau ging ich noch selbständig die Treppe hinauf zur Notaufnahme, dann kamen die Schmerzen und ich verlor das Bewusstsein.

Wie waren die nächsten Tage?
Ich geriet in eine Schweissblende und sah nichts mehr. Als mich drei Tage später jemand von der Suva zur Unfallabklärung im Spital besuchte, konnte ich ihn nicht erkennen. Ich hatte deswegen schon schlaflose Nächte, als er mir dann aber sagte, dass ich blind würde, wenn sich die Netzhaut löse, das war das Krasseste am Ganzen – diese Ungewissheit, was mit meinem Augenlicht passiert. Die Verbrennungen waren mental weniger schlimm. Sie wurden dick verbunden und diese Verbände wurden regelmässig ausgetauscht. Damit das abgestorbene Gewebe keine Infektion verursachte, schabte man es ab. Nach etwa zwei Wochen bildeten sich wieder Hautschuppen.

Wann kam das Augenlicht zurück und wie lange lagen Sie im Spital?
Nach rund einer Woche sah ich wieder etwas. Ich bin aber bis heute lichtempfindlich. Es wird sich zeigen, ob das noch mehr Folgen haben wird. Ich bin darauf vorbereitet und schütze meine Augen mehr. Nach drei Wochen kam ich aus dem Spital und ging in die Rekrutenschule, dadurch war der Arbeitsausfall kürzer. Als ich nach der RS wieder zur Arbeit ging, hatte ich einen riesigen Respekt. Ich überlegte sogar, ob ich den Beruf wechseln sollte. Ich sagte mir dann aber, dass meine Erfahrung auch einen Sinn haben kann und ich nun ja vieles lernte. Unter anderem, Stopp zu sagen. Man muss einfach Stopp sagen, wenn kein klarer Auftrag vorliegt, wenn man Schutzmassnahmen nicht einhalten kann, wenn man auch spannungslos arbeiten könnte.

Trauten Sie sich nicht, Stopp zu sagen?
Das wäre kein Problem gewesen und ich muss mir persönlich vorwerfen, dass wir die Übung nicht abbrachen. Es war schlicht zu gefährlich, doch dessen war ich mir nicht bewusst. Es gab zwar Schutzausrüstungen, die ich aber nicht trug. Wir hätten die Kabelenden hinten abschneiden können und wären geschützt gewesen. Es gab auch eine Arbeitsanweisung, von der wir allerdings abwichen. Doch es war der innere Ehrgeiz, die Aufgabe bis um vier Uhr erledigt zu haben, der uns vorwärts trieb. Das war leichtsinnig. Eigentlich hätte auch mein Vorgesetzter intervenieren und auf die Sicherheitsregeln hinweisen müssen. Das wurde ihm auch vorgeworfen und diesen Vorwurf leitete er mir weiter und sagte, ich hätte halt aufhören müssen. Das war berechtigt und ich hatte durchaus Gewissensbisse.

Konnten Sie den Unfall gut verarbeiten?
Ich kann gut damit umgehen. Ich setzte mich mit meinem Fehler und den Vorwürfen auseinander und verdrängte nichts. Aber an einer Weiterbildung des ESTI, viele Jahre später, wurden in einem Versuchslabor Kurzschlüsse gezeigt. Ich sass 20 Meter entfernt auf einer Bühne und fühlte die Hitze des Feuerballs. Dort wurde mir schlecht, so als wäre ich schlagartig wieder in meiner eigenen Situation gewesen. Es war schon ein einschneidendes Erlebnis.

Wenn Sie einem heute 20-jährigen Berufskollegen einen einzigen Rat geben könnten, welcher wäre das?
Wenn du nicht sicher bist, sagst du Stopp. Motzt der Chef dann, ist es vielleicht sogar gut, wenn du nicht mehr dort arbeitest. Du hast nur ein Augenlicht und nur ein Leben.

Veröffentlicht in den Fachzeitschriften “electrorevue” und “Bulletin electrosuisse”.

Bild: A. Dreher  / pixelio.de